Gerron - Lewinsky, C: Gerron
kaputt», sagte sie.
Ich weiß nicht, wer die Pointe erfunden hat, die damals die Runde machte. «Das auf dem Stern zwischen dem J und dem D, das sind gar keine O’s. Das ist eine doppelte Null. Wie auf der Klosetttüre. Damit auch jeder weiß, dass wir in der Scheiße stecken.»
Der eine tiefer, der andere weniger tief. Ich kriegte mal wieder eine Vorzugsbehandlung. Als Darsteller an der Schouwburg wurde ich Angestellter des Joodsche Raad und war in dieser Eigenschaft von Deportationen ausgenommen. Bis auf weiteres.
Wir spielten tatsächlich immer noch Theater. Studierten harmlose Komödien ein. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Als ob manuns nicht schon längst Rollen in einem ganz andern Stück zugeteilt hätte. Das definitiv keine Komödie war.
Die Vorstellungen fanden jetzt nachmittags statt, weil ab zwanzig Uhr das Ausgehverbot für Judskis galt. Der Vorhang musste rechtzeitig fallen. Viele unserer Zuschauer hatten einen langen Fußmarsch vor sich. Straßenbahnen: Voor Joden verboden. Fahrrad fahren: Voor Joden verboden. Die Hofmeyrstraat, wo wir dann hinziehen mussten, war näher. Als es zu Ende ging, schickten sie immer mehr Juden in die Transvaalbuurt. Man wollte uns auf einem Haufen haben.
Wir waren immer ausverkauft. Obwohl jeder, der ins Theater ging, an dem Tag keine Lebensmittel einkaufen konnte. Einkaufszeiten für Judskis nur noch zwischen drei und fünf.
Manchmal, während die Vorstellung noch lief, fand im Foyer draußen gleichzeitig eine Hochzeit statt. Im Rathaus durften Juden nicht mehr heiraten. Das haben sie am 1.April verkündet. Ein besonders origineller Scherz.
Unser letztes Stück hieß Wiegenlied . Ich spielte darin einen verbitterten, kinderlosen Mann, der vor seiner Haustür einen ausgesetzten Säugling findet. Und wieder glücklich wird, weil er jetzt ein Kind hat. Sehr passend für mich. Mein Himmelsdramaturg muss ein Moff sein.
Eppsteins Vorzimmer war leer. Kein einziger Bittsteller. Auch keiner der Türhüter und Schwellenwächter, die sich dort sonst wichtig machen. Als ob sie alle geflohen wären. So plötzlich, dass sie nicht einmal ihre Sachen mitgenommen hatten. Papiere, die sie Eppstein hatten vorlegen wollen. Ein Lagerausweis. Auf einem Tischchen eine offene Blechschachtel mit drei Zigaretten. Eine verbotene Kostbarkeit, einfach so zurückgelassen.
Ohne die vielen Leute kam mir der Raum kleiner vor. Geschrumpft. Im Tempel von Jerusalem, so erzählt es der falsche Rabbi, machten die Mauern je nach Anzahl der Gläubigen mehr oder weniger Platz.
Die Tür zu Eppsteins Büro stand einen Spalt offen. Ich hatte im Vorzimmer nur einen Moment gezögert, da rief er schon: «Sind Sie das, Gerron? Wir warten auf Sie.» Wir? In seiner Stimme klang Ängstlichkeit.
Eppstein hinter seinem viel zu großen Schreibtisch. Hinter ihm, an die Wand gelehnt, Rahm. An die Wand gelehnt. Karl Rahm im Büro des Judenältesten. Etwas, das es nicht geben konnte. Und Eppstein stand nicht etwa in Habachtstellung vor ihm, sondern war sitzen geblieben. Man musste ihm befohlen haben, sitzen zu bleiben.
Rahm lächelte, als ich hereinkam, aber das Lächeln war nicht für mich bestimmt. Als ob ihm ein lieb gewordener alter Scherz durch den Kopf ginge.
«Setzen Sie sich doch, mein lieber Gerron.» Der Judenälteste sagte tatsächlich: «Mein lieber Gerron.» Versuchte, jovial zu wirken. Und hatte doch den Kopf tief in den Nacken gezogen. Wie einer, der Schläge fürchtet. In meinem Beruf lernt man solche Zeichen lesen.
Ich setzte mich. Rahm schien es nicht zu bemerken. Er spielte ein Spiel, dessen Regeln ich nicht verstand.
Eppstein hatte ein Papier in der Hand, aber er las nicht davon ab. Hielt sich nur daran fest. Nervöse Schauspieler brauchen Requisiten. «Am 16.August», sagte er. «Das ist jetzt so beschlossen worden. Ein Mittwoch. Nicht, dass das eine Rolle spielte. Also, wie gesagt: Beginn der Dreharbeiten am 16.August. Sie werden doch bis dahin alles vorbereitet haben?»
Rahm rieb die Fingernägel am Revers seines Jacketts blank.
«Vom Buch her kein Problem», sagte ich. «Aber die technische Seite, Kamera, Ton und so weiter, darüber ist noch gar nicht gesprochen worden.»
«Wird alles da sein», sagte Eppstein. «Sie brauchen sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Wird alles pünktlich dasein. Nicht wahr?»
Er stellte die Frage ins Leere hinein. An niemanden gerichtet. Er sbekam auch keine Antwort. Rahm suchte in der Tasche seiner Uniform nach etwas.
«Es sind allerdings einige
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