Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Anmerkungen zu Ihren Vorschlägengemacht worden», fuhr Eppstein fort. «Punkte, die Sie bitte noch einarbeiten wollen.» Er las jetzt doch von seinem Papier ab. «Erstens: Wenn Sie Ihren Drehplan aufstellen – es heißt Drehplan, nicht? –, ist die Tomatenernte sehr früh anzusetzen.»
Auch bei der Ufa hatten die höheren Herren immer einen Adlerblick für das Unwesentliche. Aber man kann alles übertreiben.
«Wir werden uns da nach dem Wetter richten müssen», sagte ich.
«Es wird sonnig sein. Ganz bestimmt.» Eppstein sagte es so eifrig, als ob Rahm persönlich schönes Wetter angeordnet hätte.
«Aber warum?»
«Die Herren von der SS», sagte Eppstein und buckelte im Sitzen, «haben sich freundlicherweise bereit erklärt, bis zum Drehtag auf frische Tomaten zu verzichten. Damit die Ernte im Bild schön reich aussieht. Aber sie wollen natürlich nicht zu lang warten.»
Rahm hatte nach einer Nagelfeile gesucht und sie nicht gefunden. Er rieb jetzt einen Fingernagel an der Wand entlang und betrachtete ihn immer wieder prüfend.
«Zweitens», sagte Eppstein. «Beim Fußballspiel soll es keinen Sieger geben. Es wird nicht gewünscht, dass jubelnde Menschen gezeigt werden.»
«Es wäre ein effektvoller Abschluss.»
«Wird nicht gewünscht», wiederholte Eppstein. Seine Stimme flatterte. «Viertens …», setzte er an.
«Drittens», korrigierte Rahm. Hörte also doch zu.
Eppstein zuckte zusammen wie unter einem Schlag. «Natürlich. Drittens. Ich bitte um Verzeihung. Drittens. Die Seidenraupenzucht kommt im Drehbuchentwurf noch nicht vor. Das ist zu ergänzen.»
Rahm war jetzt mit seinen Nägeln zufrieden.
«Viertens», sagte Eppstein. «Beim Unterhaltungsprogramm auf der Freilichtbühne werden Sie selber auftreten, Gerron. Mit dem Lied vom Haifisch.»
«Muss das wirklich sein? Die Regiearbeit wird auch so schonschwierig genug. Mit einer nicht eingespielten Kameramannschaft. Wenn ich auch noch als Darsteller mitwirken muss …»
«Es wird so gewünscht», sagte Eppstein.
Ich will dieses Lied nicht singen. Nie mehr.
Ich bin damit berühmt geworden. Erfolgreich. Wohlhabend.
Ich hasse es.
Olga und ich waren fast die letzten, die aus der Schouwburg nach Westerbork kamen. Als Leider Bagagedienst war ich unabkömmlich gewesen . Vor jedem Transport geschützt. Ha ha ha. An der Hofmeyrstraat hatten wir am Schluss vier Zimmer für uns allein. Weil alle anderen aus der Wohnung schon deportiert waren. Jetzt hatte ich die untere Hälfte eines Stockbetts. Immerhin die untere. Olga, in einer anderen Baracke, hatte nur eine obere bekommen.
Es überraschte mich nicht, dass ich zu Gemmeker bestellt wurde. Ich hatte es erwartet. Ich war schließlich Kurt Gerron. Man wusste: Der Herr Obersturmführer hat eine Schwäche für Stars. Man wusste vieles, noch bevor man dort hinkam. Westerbork war kein so völlig abgeschottetes Lager wie Theresienstadt. Immer mal wieder wurden Leute von dort mit Aufträgen nach Amsterdam geschickt. Einmal hatten sie bei uns in der Schouwburg Scheinwerfer abzuholen. Für die Lagerbühne. Gemmeker sei ein großer Freund des Kabaretts, hatten sie erzählt. Nur dass er keine Autogramme sammelte, sondern Darsteller. Die ganzen Berliner Stars, die nach Holland geflüchtet waren, traten in seinem Lager auf. «Er wird bestimmt wollen, dass Sie auch in der Revue mitspielen», sagte der Mann aus Westerbork. «Wenn Sie dann auch zu uns kommen.» In meinen nutzlosen Englischstunden hatte ich genügend Grammatik gebüffelt, um zu wissen, dass er when meinte und nicht if . Die Frage war nicht, ob man nach Westerbork geschickt wurde, sondern nur wann.
Man hatte mir Gemmeker so oft geschildert, dass ich ein klares Bild von ihm hatte. Verständnisvoll sei er, hieß es, tue zwar seine Pflicht, aber ohne jeden Sadismus. «Er ist ein so kultivierter Mann», hatte jemand gesagt, «wenn sie ihn mal aufhängen, sollten sie einenseidenen Strick nehmen.» Man hatte mir seine auffällig schmalen Lippen beschrieben, aber wie diese Lippen lächelten, darauf war ich nicht gefasst. Dieses dauernde Lächeln. Als ob er es zusammen mit seiner Uniform angelegt hätte.
«Ich freue mich, dass Sie jetzt auch bei uns sind», sagte Gemmeker zu mir. Begrüßte mich wie ein Hoteldirektor. «Ihre Kollegen werden Sie ja schon getroffen haben. Und bestimmt auch schon einen netten Auftritt mit dem Herrn Rosen besprochen. Ich freue mich darauf.»
Er erinnerte mich an den Kassierer in meiner Bankfiliale in Wilmersdorf. Dasselbe
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