Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Wochenschau. Das ist meine Hoffnung. Sie werden es gewohnt sein, schnell zu arbeiten.
Ich habe Olga geklagt, wie schwierig die Arbeit ist, und dass ich nicht weiß, ob ich es schaffen werde. Sie hat gelacht und dabei den Kopf in den Nacken geworfen. Die Bewegung ist mir vertraut, aber es fehlt etwas, seit ihr dabei keine Haare mehr ums Gesicht fliegen. Wie wenn einer mit leeren Händen jongliert.
Den alten tschechischen Jongleur habe ich lang nicht gesehen. Er wird wohl auf Transport gegangen sein.
Ausgelacht hat mich Olga. Hat gesagt: «Du jammerst, wie du bei jedem deiner Filme gejammert hast. Die Arbeit tut dir gut.»
Habe ich immer gejammert? Wenn man wüsste, wie viel schlimmer es noch werden kann, man würde sich nie mehr beschweren.
Nein, das stimmt nicht. Wenn man gewusst hätte, was noch alles kommt, man hätte sich umgebracht.
Wir fangen morgen früh gleich mit einer der schwierigsten Szenen an. Bei der Ufa habe ich am ersten Drehtag immer nur Passagen und Übergänge in den Arbeitsplan schreiben lassen. Einfache Dinge, damit sich die Maschinerie einspielen kann. Aber es wird anders gewünscht.
Ich habe die Sequenz heute probiert. Theresienstadt geht zur Arbeit heißt es im Drehbuch. Eine Art Festumzug. Junge Mädchen mit landwirtschaftlichen Geräten. Straßenarbeiter mit geschulterten Spaten. Eine Transportkolonne. Das Ochsengespann mussten wir markieren, aber man hat mir versprochen, dass es morgen pünktlich zur Stelle sein wird. Frau Olitzki habe ich beauftragt, für die Kinder aus dem Waisenhaus einen Platz zu organisieren, von dem aus sie das Gespann sehen können. Die meisten von ihnen kennen Tiere nur aus dem Bilderbuch.
Außer Ratten.
Mit den jungen Mädchen war es am schwierigsten. Alle furchtbar aufgeregt, weil sie für die Ernteszenen ein paar Stunden aus der Festungherausdürfen. Konnten gar nicht mehr aufhören zu schnattern und zu kichern. Als Regisseur habe ich mich über ihre Disziplinlosigkeit geärgert. Aber es war schön, jemanden unbeschwert lachen zu hören.
Von dem, was nachher bei der Probe mit den Ghetto-Swingers passierte, habe ich Olga nichts erzählt. Ich will sie nicht erschrecken.
Eigentlich wollte ich mir nur über die Sichtlinien beim Musikpavillon klarwerden. Damit ich in der Einstellung möglichst viele Zuhörer ins Bild kriege. Wir werden keine Zeit haben, den Kamerastandort zu wechseln. Ich wollte schon weitergehen, um auch noch mit der Feuerwehr die Alarmszene zu besprechen, als plötzlich Rahm auftauchte. Ohne Begleitung. War einfach da, ohne dass ich ihn habe kommen sehen. «Sie sollen weiterspielen», sagte er.
Und so spielten sie denn, vierzehn Mann stark, nur für ihn. Bei mir bistu schejn spielten sie. Die Vorgabe für den Film lautet: Nur Melodien von jüdischen Komponisten . Ich musste eine Musikliste einreichen, und hinter jedem Namen musste (J) vermerkt sein.
Ich blieb stehen, die Hände an der Hosennaht. Er wippte im Takt der Musik mit dem Fuß. Wie hält er bloß seine Stiefel so sauber, im Dreck von Theresienstadt?
Die Ghetto-Swingers spielten, und er summte die Melodie mit. Dann ging er weg, und sie spielten immer noch.
Bei mir bistu schejn.
Ich habe Angst vor ihm.
Von meiner Seite war alles perfekt vorbereitet. Für die Verspätung konnte ich nichts. Die Leute aus Prag sind nicht pünktlich eingetroffen. Und natürlich gab es noch eine Menge zu besprechen. Sie haben keinen Standphotographen mitgebracht. Ich lasse die gedrehten Szenen jetzt von Jo Spier in Zeichnungen festhalten.
Als wir endlich loslegen konnten, stand die Marschkolonne seit zwei Stunden auf dem Marktplatz bereit. Was nicht weiter schlimmwar. In Geduld sind wir alle geübt. Aber auch Rahm hatte warten müssen. Und mit ihm seine uniformierten Alemanns.
Man lässt einen Lagerkommandanten nicht warten. Wir haben also die Kamera aufgebaut, so schnell es ging. Dann habe ich mit der Trillerpfeife das Zeichen zum Abmarsch gegeben.
Ein großer Fehler.
Zuerst habe ich nicht verstanden, warum Rahm so wütend war. Beleidigt wie ein kleiner Junge, dem man sein Spielzeug weggenommen hat. Er wollte den Beginn der Dreharbeiten selber kommandieren. Seine Spielzeugeisenbahn durfte nicht losfahren, bevor er selber «Abfahrt!» gerufen hatte. Also musste das Ganze noch einmal auf Ausgangsposition zurück. Was mit dem Ochsenkarren nicht einfach war. Als alles wieder bereit war, ging er zur Kamera, blickte durch den Sucher – als ob er die geringste Ahnung hätte, auf was er dabei
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