Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
Vom Netzwerk:
die Festung zurückmarschieren. Barfuß.
    Aber die Aufnahmen sind gut geworden. Sehr gut sogar, glaubeich. Eine Einstellung geradezu künstlerisch. Vier Männer unter einem Sonnenschirm, und am untern Bildrand taucht auf einer Wippe ein kleines Mädchen auf und verschwindet wieder. Ich gebe mir große Mühe mit der Gestaltung. Nicht für Rahm, sondern für mich. Ich will beweisen – nur mir selber, sonst interessiert das keine Sau –, dass ich immer noch ich bin. Nicht XXIV/4-247, sondern Kurt Gerron. Ein Regisseur.
    Wenn der Drehbericht diktiert ist, kann ich Feierabend machen. Olga wartet auf mich. Aber Frau Olitzki weint immer noch.
     
    Ich bin gut. Ich bin wirklich gut. Ein von sämtlichen Musen geküsster Komiker. Wenn ich nur daran denke, könnte ich heulen. Es war der schlimmste Auftritt meines Lebens. Noch schlimmer als der Mackie-Messer-Song in Ellecom. Aber erfolgreich. Im fertigen Film wird man genau das sehen, was bei mir bestellt wurde: Wie gut wir uns in Theresienstadt doch amüsieren. Heiho, heiho, wir sind vergnügt und froh.
    Zweihundert Zuschauer, unter Bewachung hergeführt. Auf die Wiese, die sie den Kessel nennen. Und dann die Leute erst einmal warten lassen. Zwei Stunden lang. Im nassen Gras. Das Gewitter letzte Nacht war heftig, und sie standen bis zu den Knöcheln im Wasser. Die perfekte Voraussetzung für ein gutgelauntes Kabarett-Publikum.
    Ich hatte die Bühne schon gestern aufbauen lassen. Um heute Zeit zu sparen. Ein Fehler, wie sich herausstellte. Der Vorhang war an zwei Birkenstämmen befestigt, und die hat der Wind umgerissen. Aber den Vorhang musste ich haben. Eine Bühne auf der grünen Wiese braucht einen optischen Abschluss.
    Also erst mal alles neu aufbauen. Und dann noch das Problem mit dem Flügel. Beim Aufladen hatten sie ihn verkantet und brachten ihn jetzt fast nicht vom Lastwagen. Als er endlich an der richtigen Stelle stand, war er natürlich verstimmt. Es dauerte alles viel zu lange. Die Leute hatten nicht nur nasse Füße, sie waren auch hungrig. Man hatte sie ohne Mittagessen abmarschieren lassen. Und eshatte sich ja auch keiner freiwillig als Zuschauer gemeldet. Der Kessel hat einen schlechten Ruf. Letztes Jahr, noch vor meiner Zeit, hat hier dieser unendlich lange Zählappell stattgefunden, von dem man sich noch immer die schlimmsten Dinge erzählt.
    Heiho, heiho .
    Ein Publikum, wie es missgelaunter nicht sein konnte. Wo ich doch Begeisterung brauchte. Strahlende Mienen. Das lächelnde Gesicht von Theresienstadt.
    Ich ließ zuerst Stretter auftreten. Sein Chaplin als Schlittschuhläufer schien mir die sicherste Nummer. Akrobatisch und komisch. Würde sogar im Wintergarten funktionieren. Aber es gab keine Reaktionen. Die Einstellungen, die ich aus der Gegenachse habe drehen lassen, quer über die Bühne, kann ich alle wegschmeißen. Wo Zuschauer im Bild sind, wird das Material nicht zu gebrauchen sein. Die Gesichter wie eingefroren. Als ob sie keine Kabarettbühne vor sich hätten, sondern ein Hinrichtungskommando.
    Olga hat ganz ernsthaft gesagt: «In Theresienstadt ist der Unterschied nicht so groß.»
    Ich habe dann kurzerhand entschieden, dass wir die vorbereitete Einstellungsliste wegschmeißen und zunächst einmal nur das Publikum abdrehen. Damit die Leute in die Stadt zurück können. Die Künstler hinterher. In aller Ruhe. Im Schneideraum kann ich es dann wieder zusammensetzen.
    Ich weiß noch immer nicht, wo der Film geschnitten werden soll. Sie werden wohl kaum einen Schneidetisch nach Theresienstadt schaffen. Das Wochenschau-Studio wäre am sinnvollsten. Aber ob sie mich nach Prag fahren lassen? Egal. Für den Schnitt brauchen sie mich so oder so. Außer mir hat keiner den Überblick. Wenn alles gutgeht, werde ich damit länger beschäftigt sein, als der Krieg dauert. Die Märchen-Agentur meldet, dass die Amerikaner schon auf Paris marschieren.
    Um die Leute ein bisschen in Stimmung zu bringen, habe ich die Swingers spielen lassen. Hatte sie vorsorglich herbestellt, obwohl wir sie ganz woanders aufnehmen. «Spielt die fetzigsten Melodien, die ihr kennt», habe ich gesagt. Die Leute haben zugehört, als ob esein Trauermarsch wäre. Von wegen lächelndes Gesicht . Vollständige Lähmung des Musculus risorius.
    Dabei standen gerade heute ein paar wichtige Prominente auf der Liste, von denen Rahm Großaufnahmen haben will. Begeistert dem Variétéprogramm applaudierend. Nicht mit Leichenbittermienen.
    Ich bin dann schließlich selber hingestanden. Bin auf die

Weitere Kostenlose Bücher