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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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aller Sau. Und zweitens sind die Portionen viel zu klein.
    Ha ha ha.
    Nicht satt werden und Hunger haben, das ist ein Unterschied wie zwischen Kranksein und Sterben.
    Hinterher gesehen war dieses erste Theresienstädter Essen noch eines der besseren. Reichhaltiger. Es gab an dem Tag für jeden einen Knödel zur Suppe. Heute wissen wir, dass er neunzig Gramm wiegen müsste, und spüren nur schon beim Hinsehen, wenn es wieder weniger sind. Damals hielten wir ihn für eine Beilage.
    Und den ersten Hungertoten, dem wir begegneten, für einen Unglücksfall.
    Die Leichenkarren müsste man im Film zeigen. Sie ein Wettrennen austragen lassen. Wo Rahm doch so viel Sport drinhaben will.
    Wir haben nicht gleich begriffen, wie Theresienstadt wirklich ist. Was es ist. Auch hier waren die falschen Kostüme schuld. Häftlinge im Anzug wirken nicht überzeugend.
    Und es wurde ja dann auch erst einmal besser. Ich kam auf die Liste der A-Prominenten, und man teilte uns ein Kumbal zu. Damals erschien mir das noch selbstverständlich. Ich habe erst allmählich begriffen, was es für ein Geschenk ist, dass ich mit Olga zusammenbleiben darf. Was für ein Vorzug. Man braucht seine Zeit, um die Ansprüche auf Theresienstädter Maß herunterzuschrauben. Um zu lernen, dass die verbotenen Zigaretten kein Genussmittel sind, sondern eine Schwarzmarkt-Währung. Dass man auch angefaulte Kartoffeln essen kann. Sie sind nicht gesund, sagt Dr. Springer. Aber Verhungern ist noch ungesünder. All das weiß man als Neuling noch nicht. Darum sind die Theresienstädter Fragen auch die erfolgreichste Nummer im Karussell. Die Leute kugeln sich jedes Mal über die Naivität der Neuankömmlinge. Muss ein Mann, so möcht ich fragen, abends einen Frack hier tragen? – Man schmückt sich hier je nach Geschmack, mein Mann geht immer nur als Wrack.
    Ha ha ha.
    Aber der Leo Strauss hat da wirklich etwas getroffen mit seinem Text. Wer nur eine Woche länger hier ist als ein anderer, fühlt sich schon als alter Hase und hat für den Anfänger nur Verachtung übrig. Behandelt ihn, wie damals die Veteranen in unserer Kompanie uns behandelt haben.
    An Westerbork gewöhnt – man gewöhnt sich an alles –, mussten wir erst einmal lernen, dass die Angst hier einen ganz anderen Rhythmus hat. Dass es nicht jedes Mal eine ganze Woche dauert, bis der nächste Zug fährt. Manchmal gehen drei Transporte hintereinander ab. Und dann wieder lang gar keiner. Die klügsten Leutehaben schon versucht, die Logik zu verstehen, nach der sie – In der Kommandantur? In Prag? In Berlin? – den Fahrplan gestalten. Es gibt keine Logik. Es gibt keinen Sinn.
    Erst wenn man das kapiert hat, ist man ein richtiger Theresienstädter.
     
    Ich bin schon fast so lang hier wie Rahm. Er ist auch im Februar hergekommen. Aus Prag, wo er – wir wissen alles über ihn – eine Art uniformierter Buchhalter gewesen ist. Er wird nicht gerade Abrechnungen korrigiert haben, Spesenbelege abgehakt, aber auch dort hatte er dafür zu sorgen, dass die Zahlen stimmten. Früher ging es um Lastwagen, um Uniformen oder was auch immer. Jetzt geht es halt um Menschen.
    Nein, nicht um Menschen. Um Judskis.
    Wenn ich es mir überlege, waren alle höheren Nazi-Chargen, die ich kennengelernt habe, solche Buchhalter. Verwaltungsspießer. Leute, die sich einen Kleiderbügel hinter die Bürotür hängen. Damit die Uniformjacke nicht knittert, wenn sie sie ausziehen. Die sich weigern, ein Todesurteil zu unterschreiben, wenn der Sekretärin darin ein Tippfehler unterlaufen ist. Lauter Theaterabonnenten. Es ist ihnen egal, was auf dem Programm steht, solang sie nur ihren Platz auf sicher haben. Nicht in der allerersten Reihe und nicht in der Staatsloge. Aber auch nicht auf der Galerie, wo der Pöbel sitzt.
    Die Stehplätze sind immer für die andern. Wo es so viele Führer gibt, muss es noch mehr Geführte geben. Leute, die sich die Hände schmutzig machen. Wer auf der Beletage wohnt, braucht jemanden, der für ihn die Kohlen schleppt. Aber den lädt er dann nicht zu sich ins Wohnzimmer ein. Das gute Sofa könnte Flecken bekommen.
    Was wohl der Effeff für einer wäre, wenn er hier Dienst tun müsste? Er wird um solche Sachen herumgekommen sein, von wegen zu alt. Wenn sie ihn beim Topf-Auskratzen nicht doch noch auf den Löffel gekriegt haben. Ein Superkorrekter wäre er, da bin ich mir sicher. Einer, bei dem man sich die Mütze exakt drei Schritt, bevor man an ihm vorbeigeht, vom Kopf reißen muss. Aber nichtbösartig. Kein

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