Gerron - Lewinsky, C: Gerron
müssen. Aber da war kein Jemand. Nur ein Niemand. Niemande haben das Maul zu halten.
Pečený ist im Verschiss. Selber schuld. Wer anderen in den Hintern kriechen will, sollte erst mal Anatomie studieren.
Rahm hat sich zu mir gedreht und hat gefragt: «Kann man das lösen, Gerron?» Hat mich gefragt. Den Scheißjud Gerron. Ich bin strammgestanden und habe in meinem besten Jüterboger Untergebenenton geantwortet: «Selbstverständlich, Herr Obersturmführer.»
Der Pečený hätte mich am liebsten erwürgt. Dabei habe ich ihm seinen Arsch gerettet. Aber das hat er nicht kapiert.
Ich habe die ganze Belegschaft der Schreinerei kommen lassen. Im Laufschritt. Damit Rahm sieht, wie die Dinge flutschen, wenn man Fachleute machen lässt und nicht irgendwelche Wichtigtuer von der Wochenschau. Im Eiltempo haben wir die ganzen Regale auseinandergenommen und vor der Hütte wieder aufgebaut. Die Sonne ist immer noch der beste Beleuchtungskörper. Es wehte ein bisschen Wind, und so wurde den kostbaren Tierchen auch nicht zu heiß.
Ich habe mit beiden Kameras drehen lassen. Der Fric und der Zahradka. Es hat sich keiner darüber beschwert, dass ich ihnen Anweisungen gegeben habe. Wenn da noch ein Niemand war, dann hieß der Pečený.
Der Höhepunkt – dreimal in verschiedenen Einstellungen wiederholt – war natürlich, wie die Kokons in den Korb geschüttet werden. Jede Menge Kokons. Ich habe extra noch einen kleineren Korbbesorgen lassen, damit er schneller voll wird. Und dann einen größeren, genau gleichen Korb wegtragen lassen. Das sind so die Tricks, die wir Niemande beherrschen.
Rahm hat mich nicht gelobt. So etwas käme ihm nicht in den Sinn. Aber er hat mir zugenickt, es war ganz deutlich zu sehen. Hat mir zugenickt.
Der Pečený kann mich kreuzweise.
Ich bin hier der Regisseur.
Ich. Kurt Gerron.
Es hat sich jetzt eingespielt. Die Gruppe Fric arbeitet ohne Ton und übernimmt die reinen Reportage-Sachen. Werkstätten und so weiter. All die Schauplätze, die keine große Vorbereitung brauchen. Pečený läuft mit ihm mit und darf Regisseur spielen. Mir geht er aus dem Weg. Ich bin ihm unheimlich geworden.
Alles, was ein bisschen schwieriger ist, mache ich selber, zusammen mit dem Zahradka. Ich hätte mir natürlich den Fric gewünscht. Wenn das Wünschen helfen würde, wäre ich in Amerika.
Nicht dass sich der Zahradka nicht anstrengen würde. Er gibt sich und hat Mühe. Ein Anfänger halt. Aber ein netter Kerl, scheint mir. Man könnte sich gut mit ihm unterhalten, wenn das nicht verboten wäre. Wie alt kann er sein? Zwanzig vielleicht. Ein kräftiger junger Mann. Völlig gesund, so wie er aussieht. Nicht einmal Plattfüße. Kurzsichtig kann er auch nicht sein, bei dem Beruf. Ich frage mich, warum er nicht beim Militär ist. Sie nehmen doch unterdessen jeden, der ein Gewehr halten kann. Kratzen den Topf bis zum Boden aus, wie Dr. Springer das nennt. Vielleicht haben sie die Wochenschau ja für kriegswichtig erklärt. Es sucht sich jeder seine Deckung, wo er sie findet.
Heute haben wir die letzten Sportgeschichten gedreht, den Frauenhandball und den Sechzig-Meter-Lauf. Gestern das Fußballspiel im Hof der Magdeburger Kaserne. Für solch große Sequenzen nehme ich beide Kameras zusammen. Wir haben ein paar tolle Einstellungen hingekriegt. Nach dem Schnitt wird kein Mensch mehrmerken, dass in dem engen Kasernenhof für Fußball eigentlich gar kein Platz ist. Ich habe die gedrängte Situation sogar ausgenutzt. Habe einen Spieler direkt in die Zuschauerreihen reinlaufen lassen. Wo ganz zufällig ein hübsches Mädchen saß, über das er stolpern konnte. Es hat absolut natürlich ausgesehen.
Am Abend hat Olga zu mir gesagt: «Du bist richtig zufrieden.» «Weil ich heute ein paar Probleme hatte», habe ich geantwortet. Ich musste ihr das nicht erklären. Probleme, die sich lösen lassen, tun gut. Es sind die unlösbaren, die einem die Kraft rauben.
Bei diesem Film tauchen ständig Schwierigkeiten auf, an die man nie im Leben gedacht hätte. Wie gestern bei der Sitzung des Ältestenrates. Man hatte mir eine ganze Liste von Prominenten gegeben, die alle in Großaufnahme gezeigt werden mussten. Aber für die vielen Köpfe, die da reinsollten, war Eppsteins Ansprache zu kurz. Ich kann die Gesichter ja nicht im Sekundentakt hintereinander schneiden. Oder immer noch Zuhörer zeigen, wenn sich der Redner schon längst wieder hingesetzt hat. Es gab nur eine Lösung: Die Rede musste verlängert werden. Denkste.
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