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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Kasse Theresienstädter Kronen von der Decke regnen lassen. Das gibt eine hübsche Überblendung zur Banksequenz. An solche Sachen denkt der Pečený natürlich nicht.
    Als Olga die Ghetto-Banknoten zum ersten Mal gesehen hat, hat sie gesagt: «Den Moses, der darauf abgebildet ist, hätten sie in Amsterdam verhaftet. Weil er mit seinen Gesetzestafeln den gelben Stern abdeckt.»
    Die Gerichtsverhandlung haben wir auch im Kasten. Gerechtigkeit in Theresienstadt. Die Satire schreibt sich wieder mal selber. Das volle Programm: Angeklagter, Staatsanwalt, Verteidiger. Plädoyers und Urteilsverkündigung. Das hätten wir ohne Ton drehen sollen. Wie im wirklichen Leben: Hauptsache verurteilt. Hinterher kann man sich immer noch ausdenken, wofür es war.
    Ich habe die Rollen im letzten Moment umbesetzt. Das Gesicht des Staatsanwalts passte besser zu einem Angeklagten. Kommt ja nicht drauf an.
    Ja, und in der Kinderkrippe waren wir. Man hatte mir eine Kaninchenmutter mit vier Jungen aufgetrieben, und ich habe mir den niedlichsten kleinen Jungen ausgesucht und ihn vor die Kiste gesetzt. Mit einer zu großen Mütze auf dem Kopf. Die mussten wir ihm aufsetzen, damit man die blonden Haare nicht sah. Er hockte da, mit weit aufgerissenen Augen, und hat gestaunt. Überwältigt von dem Wunder. Ein ganz offenes Gesicht.
    Einfach ein kleiner Junge.
    Mir sind die Tränen runtergelaufen, aber es hat niemand darauf geachtet. Ich bin niemand.
     
    Rahm hat Pečený angeschrien. Ich hätte ihn warnen können, aber warum sollte ich das tun?
    «Idiot!», hat Rahm geschrien, und einen Moment lang hat es so ausgesehen, als ob er Pečený schlagen wollte. Obwohl der gar kein Judski ist. Dann ist er ganz ruhig geworden und seine Stimme leise. Pečený hat gedacht, dass Rahm sich wieder beruhigt hat. Man konnte ihm die Erleichterung ansehen. Er kennt Rahm nicht. Wennder Herr Obersturmführer leise wird, dann muss man sich vor ihm in acht nehmen. Wir wissen das. Man muss sich immer vor ihm in acht nehmen, aber dann ganz besonders.
    «Hören Sie», hat Rahm gesagt, «wenn Sie nicht in der Lage sind, zu tun, was ich von Ihnen verlange, dann packen Sie jetzt ihre Sachen und fahren nach Prag zurück. Die Wehrmacht sucht Filmberichterstatter für die vorderste Front. Ich werde Sie gern dafür empfehlen.»
    Pečený ist blass geworden. Er erbleicht schreiben die Autoren in ihre Drehbücher und denken nicht daran, wie schwer das umzusetzen ist. Beim Pečený war es deutlich zu sehen. Von einem Moment auf den andern war alle Farbe aus seinem Gesicht verschwunden. Das Herz war ihm in die Hose gerutscht.
    Es ging wieder einmal um die Seidenraupen. Das Pflücken der Maulbeerblätter hatte der Fric noch gedreht, aber in der Hütte selber war dann zuwenig Licht. Wie man im Voraus hätte wissen können. Aber mich hat keiner gefragt.
    Lampen konnten sie auch keine aufstellen. Das hätte den Raum zu sehr aufgeheizt. Temperaturveränderungen vertragen die Raupen nicht. Außerdem hatte ich das ganze Licht schon in der Speisehalle aufbauen lassen. Das ist etwas vom ersten, das man bei der Ufa lernt: sich alle notwendigen Geräte sichern, bevor ein anderer sie anfordern kann. «Kunst ist gut», sagt Otto immer, «aber Organisation ist besser.»
    Menschen beim Essen haben wir gedreht. Mit über vierhundert Statisten. Zwanzig Kellnerinnen, die die Schüsseln auf die Tische gestellt haben. Mit weißen Handschuhen. Eine Fahraufnahme, quer durch die ganze Halle. Das Personal so exakt koordiniert, dass sie immer rechtzeitig im Bild waren. Ohne Statistenführer und Aufnahmeleiter. Nur ich mit meinem Megaphon. Gelernt ist gelernt.
    Rahm hat zugesehen. Mit seinem Stab. Bei den großen Szenen steht auch in Babelsberg immer die ganze Teppichetage im Atelier rum. Aus den Augenwinkeln habe ich gesehen, wie der Pečený in die Halle kommt und zu ihm hingeht. Aber ich habe natürlich nichts bemerkt. Es war ja nicht meine Sache.
    Der Pečený hat diesen Vertreterbückling gemacht, den er sich irgendwo abgeschaut hat, und hat gesagt: «Die Seidenraupen werden wir leider weglassen müssen. Die sind ja nicht so wichtig.» Und Rahm ist explodiert.
    Woher hätte Pečený wissen sollen, dass er vom Lieblingskind von Heinrich Himmler spricht? Und damit selbstverständlich vom Wichtigsten auf der ganzen Welt? Dass nur dafür die Dreharbeiten eine ganze Woche angehalten worden sind? Dass Rahm eigens einen Mann nach Italien geschickt hat, wegen der Scheiß-Kokons? Es hätte es ihm jemand sagen

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