Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Lagerkommandant hat der Rotkreuzdelegation nicht nur eine einzelne gemalte Tür als Wirklichkeit verkauft, sondern gleich das ganze Atelier. Und sie sind ihm darauf reingefallen. Otto hat recht: Die ganz große Lüge funktioniert immer am besten.
Die Delegierten haben gemeint, sie suchen sich ihren Weg durch die Stadt selber, und dabei war ihr Rundgang so durchchoreographiert wie ein Ballett. Sie wurden ganz unauffällig gelenkt. «Ziehen Sie eine Karte, irgendeine», sagt der Zauberer. Am Schluss hat man immer genau die in der Hand, die er für einen präpariert hat. Den Hinweisschildern sind sie gefolgt, die man überall aufgestellt hatte. Schön geschnitzt und bunt bemalt. Zum Kaffeehaus. Zum Park. Zum Spielplatz. Als ob irgendwer in Theresienstadt einen Wegweiser braucht. Zur Entlausungsstation. Zur Latrine. Zum Zug nach Auschwitz.
Vor zwei Tagen haben wir die Schilder aus dem Fundus geholt und für den Film aufgenommen. Erfolgreiche Nummern gibt man da capo.
Die Rotkreuzleute, das muss man sagen, waren auch nicht schwer über den Tisch zu ziehen. Der Remondo, der mir für den Blauen Engel den Zaubertrick mit den Eiern beigebracht hat, hat erzählt, dass er sich für seine Entfesselungsnummer am liebsten Intellektuelle als Assistenten auf die Bühne holt. Weil die am leichtesten zu übertölpeln sind. Wer überzeugt ist, dass man ihm nichts vormachen kann, fällt auf jeden Scheiß rein. So auch die vom Roten Kreuz.
Dass all die netten Einrichtungen, die man ihnen gezeigt hat, die Apotheke, die Metzgerei, der Musikpavillon, dass das alles nur Kulissen waren, nur für diesen einen Tag hingestellt, auf die Idee sind sie überhaupt nicht gekommen. Es wäre ihnen nie eingefallen, dass man eine Bank haben kann und Banknoten, aber kein Geld.
Der Rahm konnte es sich sogar leisten, einen privaten Scherz einzubauen. Der Herr Bankdirektor Popper kriegte ein Etui voller Zigarren in die Tasche gesteckt und musste den Delegierten davon anbieten. Ausgerechnet der Popper, der gerade wegen unerlaubten Rauchens vier Wochen im Bunker gesessen hatte. Angezeigt vom Haindl, dem hinterhältigsten von allen SS-Leuten. Während der Rotkreuzvisite wurde der Popper in einem Mercedes durch Theresienstadt chauffiert. Mit dem Haindl am Steuer. Hinterher im Kasino müssen sie sich darüber schiefgelacht haben. Ich kann es richtig hören. Dieses Premierenfeier-Gegröle, wenn das Lampenfieber weg ist und man die überstandenen Beinahe-Katastrophen nur noch komisch findet.
Es war ja auch eine wirklich gute Inszenierung. Mit viel Liebe zum Detail , würde in der Kritik stehen. Eine Tafel an ein Gebäude zu hängen und es damit zum Schulhaus zu erklären, obwohl man gar keines hat – darauf kann man ja noch kommen. Aber wir hatten gleich zwei solcher Schulen. Eine für Jungs und eine für Mädchen. Weil das pädagogisch viel richtiger ist. Allerdings waren während der Rotkreuzvisite beide Schulen wegen Ferien geschlossen, leider, leider. Die Delegierten haben nicht nachgefragt.
Dabei hätten sie ruhig fragen dürfen. Egal zu welchem Thema. Die Antworten waren alle pfannenfertig vorbereitet. Der Eppstein musste Zahlen büffeln, bis ihm der Kopf rauchte. Falsche Zahlen natürlich, aber wenn man sie addierte, kam das richtige Ergebnis raus. Der Rahm ist ein guter Buchhalter.
Und ein guter Regisseur. Etwas vom schwierigsten beim Film ist eine Fahraufnahme, wo immer im richtigen Moment die richtigen Leute ins Bild kommen müssen. Das hat er hingekriegt. Perfekt organisiert. Im Speisesaal wurde genau dann, als die Delegation hereinkam, Essen serviert. Vor der Bäckerei wurde in dem Moment, als sie um die Ecke bogen, frisches Brot angeliefert. Im Gemeinschaftshaus begann exakt bei ihrer Ankunft das Finale aus Brundibár. Alles in Bereitschaft und auf Stichwort losgeschickt.
Brundibár . Niedliche Kinder sind immer publikumswirksam. Die Rotkreuzler waren so begeistert von ihnen, dass einer zu Rahmgesagt hat: «Diesen wunderbaren Kinderchor dürfen Sie nie auseinanderreißen!» Rahm hat ihm das auch versprochen. Und sein Wort gehalten. Er hat den ganzen Chor im gleichen Zug nach Auschwitz geschickt. Es gibt genügend Nachwuchs. Für den Film haben wir auch gerade wieder eine Brundibár -Szene gedreht. Dasselbe Finale, aber mit neuer Besetzung.
Ich selber war auch auf Abruf an diesem Tag. Mit dem Karussell . Wenn sie hereingekommen wären, hätte ich den Mackie-Messer-Song singen müssen.
Es wurde so gewünscht.
Aber zu uns sind sie dann nicht
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