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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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will?
    Unsinn. Das würde er gar nicht schaffen.
    Den Fric habe ich überhaupt nicht mehr gesehen. An den beiden Zusatztagen war er ohne festen Plan unterwegs. Hat aufgenommen, was ihm gerade vor die Linse kam. Straßenszenen, Leute bei der Arbeit und anderes Reportagezeug. Beim Schnitt ist man immerfroh über solches Füllmaterial. Der Vorschlag dazu kam von mir, aber Pečený hat ihn als seinen eigenen verkauft. Der Mann ist im Filmgeschäft am richtigen Ort. Ein geborener Intrigant.
    Der einzige, der sich anständig verhalten hat, war der Zahradka. Dabei hätte ich es bei dem am wenigstens erwartet. So ein schüchterner junger Kerl. Und plötzlich tut er etwas Tapferes. Er hat vor dem Einpacken den Stativkopf eingeölt und dann den dreckigen Lappen zusammengeknüllt und mir vor die Füße geschmissen. «Schaff das weg, Jude!», hat er gesagt, aber nicht überzeugend verächtlich. Ein Laiendarsteller, der einen Bösewicht spielt. In dem Lappen war eine Packung Zigaretten eingewickelt. Noch fast voll. Osman heißt die Marke. Elf Zigaretten, fünfeinhalb Scheiben Brot. Ich bin reich.
    Es gibt auch anständige Menschen. Man vergisst das so leicht.
    Mit dem Zahradka hatte ich am letzten Tag noch die beiden Märchen-Sequenzen gedreht. Olga hat den Namen erfunden, und er trifft genau, was wir da gemacht haben. Schneewittchen und die Wundertüte. In der Wohnung von Dr. Murmelstein haben wir ein dänisches Paket ausgepackt. Schachtelkäse. Corned Beef. Knäckebrot. Wie heißt dieser russische Professor, der seine Hunde zum Sabbern bringt, obwohl sie gar nichts zu fressen kriegen? Egal. So ging es mir. Mein Magen hat so laut geknurrt – wenn wir mit Ton gedreht hätten, wäre die Aufnahme im Eimer gewesen. Ein Stück Dauerwurst. Däne müsste man sein. Als wir fertig waren, haben wir das Paket wieder eingepackt und abgeliefert. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann fressen sie noch heute.
    Als Allerletztes haben wir Familie beim Abendessen gedreht. Noch märchenhafter. Eine glückliche Großfamilie sitzt um einen reich gedeckten Tisch. Ich war während der Szene furchtbar nervös. Sie ist mein Versuch, eine eigene Botschaft in den Film einzuschmuggeln. So wie es die Musiker vom Kurorchester versucht haben, damals beim Besuch der Rotkreuzleute. Als die Delegation bei ihnen vorbeikam, haben sie Für dich, mein Schatz, hab ich mich schön gemacht gespielt. Was heißen sollte: Die Schönheit von Theresienstadt ist nur aufgeschminkt. Ein verstecktes Signal. So gut versteckt, dass niemand es bemerkt hat.
    Für die Szene am Esstisch hatten wir schon lang die Kozowers mit ihren Kindern als glückliche Familie bestimmt. Im letzten Moment habe ich vorgeschlagen, dass wir auch noch einen Großvater und eine Großmutter dazusetzen sollten. Um die Idylle noch idyllischer zu machen. Mein Plan ist aufgegangen. Sie haben mir als Großeltern den Professor Cohen und seine Frau bewilligt.
    Vielleicht – ich kann es nur hoffen, aber etwas anderes als Hoffnung bleibt einem ja nicht –, vielleicht kommt die Botschaft an. Der Kozower und der Cohen sind bekannte Leute. Der eine aus Berlin und der andere aus Amsterdam. Sind sich in Theresienstadt zum ersten Mal begegnet. Vielleicht wird jemand die Szene sehen und denken: Die gehören doch gar nicht zur selben Familie. Und vielleicht wird er dann überlegen: Wenn die eine Situation gefälscht ist, muss der ganze Film getürkt sein.
    Vielleicht.
    Vielleicht auch nicht. Man will es wenigstens versucht haben.
    Die Operationssequenz ist auch im Kasten. Dr. Springer operiert, und Hertha Ungar reicht ihm die Instrumente. Sie arbeitet nach wie vor in der Krankenstation. Ist nicht auf Transport gegangen. Weil ich sie da rausgeholt habe. Nur schon deshalb war es richtig, den Film zu machen.
     
    Es war falsch. Achtundvierzig Stunden nach den Aufnahmen wurde sie auf die Transportliste gesetzt. Dr. Springer hat beim Ältestenrat protestiert, aber dort hat man ihm nur gesagt: «Die Dreharbeiten sind zu Ende.» Er ist verzweifelt. Ich vermute, dass ihn mehr mit ihr verbindet als die gemeinsame Arbeit.
    Dass ihn mehr mit ihr verband.
    Kurt Stretter, der den Chaplin so hinreißend parodieren kann. Der davon träumt, dass er in Paris oder in London mit seiner Schlittschuhnummer auftritt, und nach der Vorstellung kommt der Tramp in seine Garderobe, schwingt sein Stöckchen und sagt: «Du warst besser als das Original.» Der Traum wird sich nicht erfüllen. Er steht auf der Liste.
    Jakub Lischka, tschechischer

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