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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Meister im Turmspringen. Er hat sich bei mir entschuldigt, weil ihm der Salto nicht gelingen wollte. «Das Hungern schlägt mir aufs Gleichgewicht», hat er gesagt. Auf der Liste.
    Mendel Wajskop, der in dem jiddischen Stück den Rabbi gespielt hat.
    Und. Und. Und.
    Ich habe zweiundzwanzig Leute gezählt, die alle in meinem Film mitgespielt haben. Zweiundzwanzig Menschen.
    «Ich kann sie beschützen», habe ich gedacht. «Ich baue sie in eine Szene ein, dann sind sie sicher.» Gedacht? Ich habe es mir eingeredet. Habe mir etwas vorgemacht. Sie waren die Währung, mit der ich mir ein gutes Gewissen kaufen wollte. Kurt Gerron, der Wohltäter. Kurt Gerron, der Retter.
    Kurt Gerron, der Versager.
    Ich habe sie aufgefordert mitzumachen, habe sie überredet, und jetzt werden sie dafür bestraft. Obwohl sie nur getan haben, was man von ihnen verlangte.
    Weil sie es getan haben? Weil sie jetzt aus eigener Erfahrung wissen, was für ein verlogenes Affentheater das Ganze ist? Weil sie es jemandem erzählen könnten?
    Nein. Das kann nicht der Grund sein. Darf nicht.
    Mit allen Statisten habe ich weit über tausend Personen auftreten lassen. Zweitausend. Sie können doch nicht zweitausend Menschen nach Auschwitz schicken, nur weil sie …
    Sie können. Sie können alles. Wenn sie in jeden Viehwaggon fünfzig Mann packen, dann sind das …
    Ich will die Rechnung nicht machen.
    Zweiundzwanzig Menschen. Bis jetzt. Nur zweiundzwanzig, denke ich. Denke tatsächlich: Nur. Mein Kopf sucht schon wieder Ausreden. Ich habe noch nicht einmal den Mut, vor mir selber ehrlich zu sein.
    Meine eigene Haut will ich retten. Darum geht es. Ist es immer gegangen. Um nichts anderes. Um mich.
    Und um Olga, verdammt noch mal.
    Zweiundzwanzig Menschen. Bald werden sie vergessen sein. Zu diesem Streifen erscheint kein Film-Kurier .
    Regie: Kurt Gerron.
    Spielleitung.
    Ich werde den Film schneiden, ja, ich werde es tun. Werde mich anstrengen, damit alles genau so wird, wie Rahm es haben will. Es ist sein Film, nicht meiner. Er sitzt da mit seiner Gigantenschere und schneidet. Ich führe nur Befehle aus. Ich bin nicht verantwortlich.
    Ich bin ein Heuchler.
    Egal.
    Warum nicht auf den Hinterbeinen gehen, wenn man einen Knochen dafür kriegt?
    Es wird ein guter Film werden. Ein erfolgreicher Film. Man wird mit mir zufrieden sein. Die Leute werden im Kino sitzen, und sie werden glauben, was sie da sehen. «Das ist die Wirklichkeit», werden sie sagen. «Genau so und nicht anders geht es zu in Theresienstadt. Die Menschen sind glücklich dort.» Ich kriege das hin. Ich kann das. Ich habe das gelernt. Mein ganzes Leben war nur Vorbereitung auf diesen Film.
    Zweiundzwanzig Menschen.
    Ich konnte sie nicht beschützen. Schon im Lazarett in Kolmar habe ich in Wunden herumgestochert wie ein Blinder. Jeder Krankenpfleger war nützlicher als ich. Aber von mir erwarteten die Verwundeten Hilfe. Weil ich den weißen Kittel anhatte und den Herrn Doktor spielte.
    So wie ich hier den Regisseur gespielt habe. Mir eingeredet, dass ich wieder bei der Ufa bin. Dass ich etwas zu sagen habe. Etwas bewirken kann.
    Ich bin schuld daran, dass sie in diesen Zug steigen müssen.
    Zweiundzwanzig Menschen. Hertha Ungar. Kurt Stretter. Jakub Lischka. Mendel Wajskop
    Frau Olitzki.
     
    Ich muss den Schnitt vorbereiten. Muss. Wenn es losgeht, muss ich sagen können: «Kein Problem. Alles im Griff.» Auch wenn ich keinen Meter Film gesehen habe. Das wird sie nicht kümmern. Wenn sie etwas befehlen, hat es zu funktionieren. Sie legen den Schalter um, und die Maschine hat zu laufen. Oder sie landet auf dem Schrottplatz.
    Ich werde funktionieren.
    Ich habe die Drehberichte und die Zeichnungen. Das muss genügen. Die einzelnen Einstellungen werde ich mir im Kopf ansehen. In der Erinnerung. Ich hatte schon immer ein gutes Gedächtnis.
    Musculus depressor anguli oris. Musculus transversus menti. Ich vergesse nichts.
    Beginnen mit einer großen Totalen. Die Kirche und die Kommandantur. Die Einstellung haben wir gedreht. Dasselbe halbtotal. Von der Mitte des Platzes aus. Haben wir auch.
    Dann gleich die Kolonne der Leute, die zur Arbeit gehen. Rahm wird erwarten, dass die Bilder, die wir als erstes aufgenommen haben, auch ganz am Anfang erscheinen. Laien denken so.
    Die Putzkolonne. Wieviel haben wir davon gedreht? Im Drehbericht steht nur: Gruppen von Frauen mit Eimern und Besen. Zwei Gruppen oder drei? Bestimmt drei. Ich lasse bei solchen Sachen immer drei verschiedene Varianten drehen. Es

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