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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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applaudiert,aber Monty Jacobs hat gelacht, ich habe es ganz deutlich gesehen.» Das ist eine Premiere.
    In Theresienstadt hat man eine erste Vorstellung.
    Heute spielen wir ja in der Hamburger, und dort sieht es fast aus wie in einem richtigen Theater. Aber am Anfang …
    Im Büro der Freizeitgestaltung haben sie mir einen Schlüssel in die Hand gedrückt. «Der Dachboden in der Kavalierskaserne. Der Raum müsste groß genug sein, aber herrichten müssen Sie ihn sich natürlich selber.»
    Natürlich.
    Die Kavalierskaserne ist keine erste Adresse. Nach einem halben Jahr Aufenthalt bin ich ein alter Theresienstädter und kenne die feinen sozialen Abstufungen. Ein Zimmer in der Magdeburger, das entspricht einer Villa am Wannsee. Die Dresdener: Wedding. Mietskaserne, vierter Hinterhof. Der Kavalier: Köpenicker Straße. Dort wo die Stadt ihren Müll hinkarrt. Hier sind die Lahmen untergebracht, die Blinden und die Verrückten. All die Leute, die man in Theresienstadt Betreute nennt. Die eigentlich ins Krankenhaus gehören, aber dort keinen Platz haben. Auch Theresienstadt hat sein Krüppelheim.
    Aber ein freier Dachboden ist ein freier Dachboden. Ein Glücksfall. Wenn es dort keine Bühne gibt und keinen Vorhang und keine Beleuchtung – egal. Man muss das Beste daraus machen. Das ist der Satz der Optimisten. Die Pessimisten sagen: «Es hat ja doch keinen Zweck.»
    Sie haben beide recht.
    Am Morgen gaben sie mir den Schlüssel, und um sechs sollte die Vorstellung losgehen. Ich schnappte mir also die Anny Frey – alle andern aus dem Ensemble waren noch in ihren Arbeitskommandos –, und wir gingen hin, um zu putzen und aufzuräumen. Um vielleicht sogar eine Art von Bühne zu bauen, wenn sich das machen ließe.
    Nur dass der leere Dachboden nicht leer war. «Da ist kein Mensch», hatte man mir gesagt. Es hätte heißen müssen: «Kein lebendiger Mensch.»
     
    Der Geruch war nicht das Schlimmste. Sie können noch nicht lang tot gewesen sein. Verhungern braucht seine Zeit.
    Das Schlimmste war, dass sie alle direkt vor der Tür lagen. Nebeneinander und übereinander. Sie hatten also noch versucht herauszukommen. Keine massive Tür. Ein kräftiger Mann hätte es geschafft, sie aus den Angeln zu reißen. Sie waren keine kräftigen Männer. Sie waren in Haut gepackte Skelette.
    Es ist in Theresienstadt verboten, eine Tür hinter sich abzuschließen. Die SS will sich nicht die Mühe machen müssen, sie einzutreten. Aber selbstverständlich gibt es Schlüssel. Wie könnte es in einem Gefängnis anders sein? Im Zentralsekretariat hängt ein ganzes Brett davon, jeder einzelne sorgfältig beschriftet. Das Amt für innere Verwaltung – welch schöner Name! –, das für die Zuteilung der Ubikationen zuständig ist, hat als einzige Abteilung des Ältestenrats das Recht, Räume abzusperren. Etwa wenn sie von Ungeziefer verseucht sind und entwest werden müssen.
    Oder wenn Kurt Gerron dort Kabarett spielen soll.
    Die fünf waren nicht auf den Gedanken gekommen, dass man die Tür hinter ihnen abschließen könnte. Sie hatten schon lang keine Gedanken mehr. Sie kamen aus der Zwockarna, dem Saal für die Geisteskranken. Dort laufen immer mal wieder Leute davon. Die Fenster sind vergittert, aber für die Tür macht die Vorschrift keine Ausnahme. Kein bewohnter Raum darf abgeschlossen werden. Einer wird losgelaufen sein, aus Neugier oder aus Verwirrung, auf der Suche nach etwas oder auf der Flucht davor, wer weiß das schon? Die andern hinter ihm her.
    Der Dachboden ist nur ein Stockwerk höher als der Schlafsaal für die Zwocks. Sie müssen sich dorthin verlaufen haben, wie sich eine Katze in einem Baum versteigt. Ohne Ziel. Sind hineingeraten und haben nicht mehr herausgefunden. Der Raum war voller Gerümpel, und sie haben sich vielleicht darin verkrochen. Ich weiß es nicht. Irgendwann hat dann jemand die Tür abgeschlossen. Weil der Raum jetzt ein Theater werden sollte. Für das Karussell.
    Man hat sie nicht vermisst. Nicht wirklich. Es kommt immer wieder vor, dass geisteskranke Patienten irgendwo herumirren, sagtDr. Springer. Manchmal bringt sie der Orientierungsdienst zurück und manchmal nicht. «Wir müssen uns um die Leute kümmern, denen wir noch helfen können», sagt er.
    Die fünf werden schon vorher mager gewesen sein. Einen verwirrten Menschen zu füttern braucht Zeit, und es gibt Wichtigeres zu tun. Ihre Rationen wird man regelmäßig bei der Essensausgabe geholt haben, aber wer weiß, wer sie bekommen hat? Wir sind hier in

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