Gerron - Lewinsky, C: Gerron
montiert sich dann besser. Also: Eine erste Gruppe. Eine zweite. Eine dritte.
Und wenn wir doch nur zwei haben? Die Zeit war knapp, und ich habe oft abkürzen müssen. Wollte vielleicht drei drehen und habe dann doch nur …
Es ist möglich, dass Rahm beim Schnitt dabeisein will. Zumindest am Anfang, so wie bei den Dreharbeiten. Wenn in meinem Schnittplan etwas steht, zu dem das Material gar nicht vorhanden ist, wird er mich für unfähig halten. Oder denken, dass es Absicht war. In der Schreinerei ist jemandem ein Metallstück vor das Sägeblatt gerutscht und hat eine Maschine beschädigt. Sie haben ihn in die Kleine Festung gebracht und erschossen. Wegen Sabotage.
Es waren drei Einstellungen. Ganz bestimmt. Mein Gedächtnisfunktioniert. Musculus zygomaticus major . Musculus zygomaticus minor.
Die Putzkolonne und dann das Ochsengespann. Das wir so mühsam wieder in Position bringen mussten, weil ich Idiot das Zeichen zum Abmarsch zu früh gegeben habe. Rahm war wütend. Aber er wird das unterdessen wieder vergessen haben. Ich hoffe, dass er das unterdessen wieder vergessen hat.
Die Straßenarbeiter. Das Pferdefuhrwerk mit den Brettern. Die jungen Leute von der Landwirtschaft.
Ich kenne ihre Namen nicht. Ich könnte sie erfragen. Um zu wissen, ob auch von ihnen jemand auf Transport geht.
Ich will es nicht wissen. Sie waren so fröhlich.
24. Halbtotale. Die ganze Kolonne der zur Arbeit Marschierenden zieht vor der Kirche vorbei.
Die erste Seite ist voll. Frau Olitzki hätte das schneller geschrieben, aber ich habe keine Sekretärin mehr. Die Schreibmaschine steht auf den Margarinekisten. Viel zu tief. Der Rücken tut mir weh.
Ich verachte mich für diesen Gedanken. Frau Olitzki ist auf Transport gegangen, und ich beklage mich über Rückenschmerzen.
Das Kohlepapier sorgfältig zwischen die neuen Blätter legen. Nicht immer in der gleichen Richtung. Es hält dann länger. Einspannen.
25. Das Herrenbekleidungsgeschäft. Einige Männer warten vor der Türe.
Ich bin heute daran vorbeigekommen. Vier Leute von der Baukolonne waren dabei, das Ladenschild abzumontieren. Haben die Schrauben nicht sorgfältig gelöst, sondern das Holz einfach herausgerissen. Das Schild kaputtgemacht. Ich konnte diese Art von Verschwendung schon in Berlin nicht ertragen. Habe mich eingemischt. «Vielleicht wird das Schild noch einmal gebraucht», habe ich gesagt. Sie haben die Köpfe geschüttelt. «Das soll alles verbrannt werden.» Auf ihrem Karren lagen auch schon die schön geschnitzten Hinweisschilder. Zum Kaffeehaus . Zum Bad . Wird alles verbrannt. Das muss etwas zu bedeuten haben.
In Theresienstadt hat alles etwas zu bedeuten. Wenn es regnet, fragen wir uns, was die SS damit bezweckt.
Wenn sie die Schilder nicht mehr brauchen, heißt das, dass sie es aufgegeben haben, die Stadt für Besucher zu verkleiden? Das wäre schlecht. Wer sein Theater schließt, braucht keine Darsteller mehr. Oder brauchen sie nur die Verkleidung nicht mehr, weil sie sich in Zukunft auf meinen Film verlassen wollen? Das wäre gut. Für mich wäre das gut.
Ich darf meine Zeit nicht mit solchen Gedanken verschwenden. Der Schnitt muss vorbereitet sein.
26. Die Gruppe der wartenden Männer. Die Tür wird geöffnet. Im Türöffnen schneiden.
27. Kamera im Geschäft. Die Tür wird ganz aufgemacht. Die Männer kommen herein. Die Kamera schwenkt mit zum Verkaufstisch. Die Verkäufer legen Ware vor.
Ich muss nicht einmal im Drehbericht nachsehen. Ich weiß noch jede Einstellung. Auf mein Gedächtnis kann ich mich verlassen.
Musculus levator labii superioris alaeque nasi.
28 . Der Käufer beim Aussuchen.
Gundermann hieß der Käufer. Elias Gundermann. Ist auch auf Transport gegangen.
Nein. Er ist noch hier. Ist wieder von der Liste gestrichen worden. Eine Geschichte, so verrückt und sinnlos wie unsere ganze Existenz. Ein Jackett ist ihm zum Verhängnis geworden, und eine Hose hat ihn gerettet. Von solchen Zufällen hängt es hier ab, was mit einem passiert. Wer zu seiner Zeit und wer vor seiner Zeit, wer durch Hunger und wer durch Durst. Wer auf Transport geht, und wer hier bleibt.
Als wir die Szene im Kleidergeschäft drehen wollten, brauchten wir jemanden für die Rolle des Kunden und etwas, das er kaufen konnte. Man findet in Theresienstadt nicht so einfach Kleidungsstücke, die aussehen wie neu. Wir haben in der Schneiderei nachgefragt, und drei Leute haben im Chor geantwortet: «Gundermann.»
Ein älterer Herr mit graumelierten Schläfen.
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