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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Westerbork. Die Krämpfe und der Durchfall. Wenn ich Glück habe, ist es diesmal nur eine Lebensmittelvergiftung. In dieser Woche gab es zweimal Kartoffeln, und sie schmeckten seltsam. Zu lang gelagert. Aber zu einer Vergiftung würde auch Übelkeit gehören. Ich muss nur ständig scheißen. Es könnte also wieder Ruhr sein.
    Oder einfach die Angst. Niemand sagt mir, wie es mit dem Film weitergeht. Ich arbeite am Schnittplan und weiß nicht …
    Ich muss arbeiten. Wenn sie mich anfordern, muss ich bereit sein.
    118. Groß. Der Staatsanwalt.
    119
    Der Weg zur Latrine ist zu weit. Ich habe jedes Mal Angst, dass ich es nicht rechtzeitig schaffe. Ich sollte mir meinen Arbeitsplatz unten einrichten, bei den kaputten Betten. Aber da ist kein Licht.
    Geschafft. Gerade noch.
    Seltsam, dass man selbst beim Scheißen seinen Stammplatz hat. Meiner ist ganz rechts, am Rand der Reihe. Damit ich auch in der Hauptverkehrszeit nur einen Nachbarn neben mir habe. Wenn mir jemand meinen Platz wegnimmt, bin ich beleidigt.
    In der Kantine der Ufa gab es den Tisch der Regisseure. An den durfte sich ein Schauspieler oder ein Drehbuchautor nur setzen, wenn er dazu eingeladen wurde. Wie eine Auszeichnung war das. Nur der Alemann hat sich nicht daran gehalten. Hat sich einfach einen Stuhl genommen.
    Am Anfang wird es einem wohler, wenn man geschissen hat. Aber wenn dann nichts mehr in einem drin ist, wenn nur noch Wasser kommt oder gar nichts, dann …
    Ich will nicht darüber nachdenken. Es wird schon wieder besser werden.
    Olga hat mir einen ganzen Packen Zeitungen organisiert. Manchmal lese ich einen Artikel, bevor ich mich damit sauber mache. Die Wehrmacht hat Saloniki erobert, und unter den Todesanzeigen steht In stolzer Trauer . Alte Zeitungen. Griechenland haben sie schon wieder aufgegeben, und die Russen sind in Ungarn einmarschiert.
    Auf einem Bild war Hitler zu sehen. Mit ausgestrecktem Arm hinter einem Mikrophon. Ob wohl die Todesstrafe darauf steht, wenn man sich mit ihm den Arsch abwischt?
    Olga will, dass ich mich von Dr. Springer untersuchen lasse. Bisher bin ich nicht hingegangen. Wenn es die Ruhr ist, wird er wollen, dass ich in der Krankenstation bleibe. Er hat dort einen Saal, wo er die ansteckenden Krankheiten isoliert. Ich habe jetzt keine Zeit, Patient zu sein. Der Schnittplan muss fertig werden. Es geht mir ja auch schon wieder besser. Für den Moment.
    «Bitte saubermachen», sagt der alte Turkavka. Er hat ein interessantes Gesicht, das fällt mir zum ersten Mal auf. Ich wasche mir die Hände, und er nickt.
    Es kommt mir vor, als ob die Treppe steiler geworden wäre.
    118. Groß. Der Staatsanwalt.
    119. Nah. Kurze Schwenkaufnahme über eine Gruppe von Zuschauern.
    120. Der Staatsanwalt setzt sich.
    Wie sollen die Zuschauer überhaupt merken, dass er der Staatsanwalt sein soll? Er trägt keine Robe, und wir haben die Szene ohne Ton gedreht. Ich werde eine Anmerkung schreiben, dass es im Kommentar erklärt werden muss.
    Es ist wirklich nicht in Ordnung, dass sie Frau Olitzki auf Transport geschickt haben. Ohne Sekretärin kann man eine solche Arbeit gar nicht richtig machen.
    Der Kommentar muss klingen wie in der Wochenschau. Ein bisschen feierlich. Auch die Gerechtigkeit spielt in Theresienstadt eine große Rolle.
    Man müsste solche Texte von Max Ehrlich sprechen lassen. Niemand kann absurde Pointen so gut setzen wie er. Die Gerechtigkeit spielt eine große Rolle und hat sich entsprechend verkleidet.
    Nicht abschweifen.
    121 . Groß. Der Angeklagte.
    122. Groß. Der Vorsitzende.
    123. Groß. Der Verteidiger.
    124
    Es geht schon wieder los. Ich darf nicht krank werden. Nicht jetzt.
    Die Zeitungen nicht vergessen. Olga hat einen ganzen Abend damit verbracht, sie in handliche Stücke zu reißen. Es war schon nach der Lichtsperre, und ich habe im Dunkeln das Geräusch gehört. Ritsch. Ritsch. Ritsch. Auch so kann eine Liebeserklärung klingen.
    Die Treppe ist noch steiler geworden.
    Als sie uns damals das Kumbal im Bordellhäuschen zuwiesen, habe ich mich darüber geärgert, dass ich die Latrine direkt vor dem Fenster habe. Heute weiß ich: Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können. Ich war schon immer ein Glückskind.
    Mein Stammplatz ist frei.
     
    «Bitte saubermachen», sagt Herr Turkavka.
    Er hat wirklich ein interessantes Gesicht. Erinnert mich ein bisschen an diesen ungeheuer vornehmen alten Herrn, der einem in der Toilette des Adlon das Handtuch reichte und das Jackett abbürstete. Der genau so aussah, wie

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