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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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dem Amt vorgekommen wie ein Eilpaket, so schnell hat man mich abgefertigt.
    Nach Erhalt dieser Einberufung müssen Sie sofort Ihr Gepäck vorbereiten. Ich werde mich vor meinen Kleiderschrank stellen und zwischen meinen zwanzig Anzügen eine Auswahl treffen. Ob ich die seidenen Hemden einpacke oder doch lieber die gestickten.
    Gepäck darf nur in einem der Arbeit entsprechenden möglichst beschränkten Umfang mitgenommen werden.
    Welche Arbeit? Was arbeitet man in Auschwitz? Ja, ich weiß, wo es hingeht, auch wenn sie den Namen nicht erwähnen. Den erwähnen sie nie. So wie es ja auch keine Deportation ist, zu der sie mich einberufen. Nur die Verbringung in ein anderes Versorgungsghetto.
    Versorgungsghetto . Wer neue Worte erfindet, will lügen.
    … in einem der Arbeit entsprechenden möglichst beschränkten Umfang …
    Ich kann meinen Umfang nicht noch mehr beschränken. Ichschwimme jetzt schon in meinen Hosen. Als ob sie für zwei Gerrons gemacht wären.
    Nur persönlich tragbares Handgepäck, mit Wäsche, Decken usw.
    Meine Decke haben sie mir gestohlen, als ich in Theresienstadt ankam. Eine Daunendecke, in die man sich herrlich einkuscheln konnte. Die einen gewärmt hat. Jetzt habe ich nur noch meine Mehlsäcke. Schleussenmühle . Soll ich sie einpacken, oder ist das Diebstahl staatlichen Eigentums? Vielleicht sogar Sabotage? Aber womit wollen sie mich bestrafen? Mit Transport?
    Nach dem, was man sich neuerdings von Auschwitz erzählt, muss es angenehmer sein, in der Kleinen Festung erschossen zu werden.
    Persönlich tragbares Handgepäck. Mit der Transportnummer beschriftet. Ein Fall für den Bagageleider. Mein Drehbuchschreiber amüsiert sich.
    Das Gepäck muss von Ihnen persönlich in die Schleuse mitgebracht werden. Und ich wollte mir doch einen Dienstmann bestellen. Hübsch uniformiert. Wollte meinem Butler sagen, dass er mir am Anhalter Bahnhof einen besorgt.
    Marschgepäck, Arschgepäck. Widerstand hat keinen Zweck.
    Zur Vermeidung behördlicher Maßnahmen ist pünktliches Erscheinen unbedingt erforderlich.
    Das hat Murmelstein gemeint, als er von Disziplin schrieb. Ruhe und Ordnung. Pünktliches Erscheinen. Der Fahrplan darf nicht durcheinandergebracht werden.
    Eine neue Nummer habe ich bekommen. Ich bin jetzt nicht mehr XXIV/4-247. Das war ich bei der Ankunft. Jetzt bin ich XXXI/621. Man hat mich befördert.
    Man wird mich befördern.
    XXXI/621. Der sechshunderteinundzwanzigste im einunddreißigsten Transport. Keine hohe Nummer, mit der man nur Reserve wäre. Nur mitfahren müsste, wenn andere ausfallen. Mit 621 ist man dabei.
    Ein Nummernschild aus Pappe haben sie mitgeliefert. Ein StückSchnur, damit ich es mir um den Hals hängen kann. Ich gehöre jetzt zu den Numerierten . Zu den Leuten, deren Zahl gezogen wurde. Zu den Lotteriegewinnern.
    Ich werde keine Reklamation eingeben. Werde hingehen und einsteigen. Wenn ich mich wehre, könnten sie merken, dass Olga keine Einberufung bekommen hat. Für gewöhnlich werden Ehepaare gemeinsam verschickt. Ich darf sie nicht gefährden. Es ist das Letzte, was ich noch für sie tun kann.
     
    Sie haben Olga nicht vergessen. Haben ihr ihre Einberufung bei der Arbeit zugestellt. Eigens einen Kurier losgeschickt. Die Gerrons scheinen ihnen wichtig zu sein.
    Olga ist ins Kumbal zurückgekommen, hat sich auf ihren Stuhl gesetzt und gesagt: «Wir müssen etwas unternehmen.» Es war nicht ihre Stimme. Plattenaufnahmen klingen so.
    Sie hat nicht geweint. Oder doch? Ihre Augen waren trocken. Vielleicht waren keine Tränen mehr übrig.
    «Wir müssen etwas unternehmen», hat sie gesagt. Ohne Hoffnung. So wie man nach einem Unglücksfall sagt: «Das kann nicht wahr sein.» Und doch weiß, dass es wahr ist.
    Ich habe versucht, bei Murmelstein vorgelassen zu werden. Jeder hat versucht, bei Murmelstein vorgelassen zu werden. Er hat mich nicht empfangen. Hat mir ausrichten lassen, dass ein Gespräch keinen Sinn habe. Bei Namen, die direkt von der Kommandantur auf die Liste gesetzt würden, könne der Judenälteste keinen Einfluss nehmen.
    Direkt von der Kommandantur? Das ist nicht möglich. Sie müssen etwas falsch verstanden haben im Zentralsekretariat. Der Film ist doch noch gar nicht geschnitten.
    Man müsste mit Rahm reden, wenn das möglich wäre. Wenn man einfach hingehen und an seine Tür klopfen könnte. Man müsste mit dem lieben Gott reden, wenn es ihn gäbe. Mit dem Teufel.
    Manchmal, das erzählt man sich, kommt Rahm, kurz bevor der Zug eintrifft, in die Schleuse,

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