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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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funktionierten; ein Turnlehrer namens Ehrbar, der es auf mich abgesehen hatte. Vielleicht wegen meiner Ungeschicklichkeit, vielleicht weil ich Gerson hieß.
    Sie wollten uns fürs Leben vorbereiten, aber das hielt sich dann nicht an ihre Lehrbücher.
    Ferner wirkten mit: drei Dutzend Mitschüler, von denen ich nach dem Krieg nie mehr einen wiedergesehen habe. Wir waren kein Jahrgang für Klassentreffen. Ein paar Verwandte, die alle denselben Text zu haben schienen: «Was der Junge groß geworden ist!» Und außerdem …
    Man kann sich nicht jeden Figuranten merken.
    Bei großen Stücken steht am Schluss der Besetzungsliste oft: Soldaten, Händler, Volk . Keine schlechte Beschreibung. Mehr bleibt im Rückblick ja doch nicht übrig.
     
    Doch, natürlich. Der eine Abend mit Großpapa. Samt seiner unangenehmen Vorgeschichte.
    Ich hatte eine chronische Halsentzündung – Angina tonsillaris , ich habe schließlich Medizin studiert – und musste mir die Mandeln schälen lassen. Das war damals, 1904, eine nicht nur schmerzhafte, sondern auch gefährliche Prozedur. Meine Eltern waren sehr besorgt um mich. Als Mama einmal meinte, ich sei nicht im Zimmer, fragte sie Dr. Rosenblum: «Ist es lebensgefährlich?», und er antwortete: «Nur in seltenen Fällen.»
    Ich sah mich daraufhin, von meiner lebhaften Phantasie beflügelt, schon im Sarg liegen und beschloss, ein Testament zu verfassen. Für meinen letzten Willen wäre mir eine gewöhnliche Schulheftseite nicht würdig genug erschienen, und so riss ich heimlich ein Blatt aus Mamas altem Poesiealbum mit seinen Scherenschnitten und gemalten Blumengirlanden. Bis Mama den Frevel an diesem sorgsam gehüteten Überbleibsel ihrer Pensionatszeit bemerkte, so meine Überlegung, würde ich längst tot sein und keine Strafe mehr zu befürchten haben. Ich habe keine Ahnung mehr, welche Schätze ich damals wem hinterlassen wollte.
    Mein erstes Testament blieb auch mein einziges. Später, als der Tod eine realistische Aussicht wurde, machte es keinen Sinn mehr, etwas regeln zu wollen.
    Die Operation selber war dann zwar äußerst unangenehm, brachte aber bei weitem nicht die Höllenqualen mit sich, die ich mir vorher ausgemalt hatte. Als ich in der Charité aus der Chloroformnarkose erwachte, ging es mir, abgesehen von Schluckbeschwerden, eigentlich ganz gut. Das verriet ich aber niemandem, sondern spielte meinen Part als Rekonvaleszent mit einer ganz besonderen Nuance. Mimte den jungen Helden, der übermenschliches Leid mit stoischer Tapferkeit erträgt. Wenn man mich fragte, ob ich Schmerzen habe, schüttelte ich stumm den Kopf, aber so, dass jeder merken musste: In Wirklichkeit waren sie übermenschlich. Das Vorbild für diese Rolle stammte aus einem Jugendbuch über den Burenkrieg, aus dem uns unser Lehrer manchmal in der letzten Stunde am Samstag vorlas. Darin hatte ein tödlich verwundeterjunger Held mit ersterbender Stimme seine letzten Worte gesprochen: «Freiheit ist wichtiger als Leben.» Worauf sich Ohm Krüger eine stille Träne von der wettergegerbten Wange wischte.
    Ich spielte meinen Heldenrolle – zumindest anfänglich – nicht, um etwas damit zu erreichen. Sie entsprach einfach meinem Sinn für Dramatik. Aber dann merkte ich, dass sie einen ungeplanten, aber höchst angenehmen Nebeneffekt hatte. Meine Eltern waren von meiner vermeintlichen Tapferkeit so beeindruckt, dass sie mir alles Mögliche versprachen. Wenn ich nur wieder gesund würde. Ich pokerte hoch, blieb meinem gewählten Charakter treu und behauptete flüsternd, keinerlei Wünsche zu haben. Was die beiden nur noch entschlossener machte, mir Gutes zu tun.
    Zu Hause erwartete mich eine Metalleisenbahn. Eine originalgetreue Nachbildung des kaiserlichen Hofzugs samt Schienen, Uhrwerkslokomotive, Tender und Salonwagen. Ich hatte mir das in jenem Jahr zum Geburtstag gewünscht und, weil zu teuer, nicht bekommen. In meiner Erinnerung verbindet sich mit dem kostbaren Spielzeug trotzdem nur Langeweile. Letzten Endes konnte man es auch nur aufziehen und im Kreis fahren lassen. Es gibt Wünsche, die sind in der Vorstellung reizvoller als in der Erfüllung. Daran konnte auch die Firma Märklin nichts ändern.
    Was mich wirklich glücklich machte, war etwas anderes, das ich zur Genesung bekam. Und das ließ sich mein Großvater einfallen.
     
    Wir gingen aus. Nur wir zwei. «Ein Abend unter Männern», sagte er. «Zieh deinen Frack an, heute bewegen wir uns in den besseren Kreisen.» Ich war sieben und hatte einen

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