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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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harmlos», sagte er.
    Die Leute waren gekommen, um unterhalten zu werden. Um über uralte Witze zu lachen oder sich von einem schmalzigen Gedicht in glückliche Melancholie versetzen zu lassen. Wenn Unthan sich auf seine Kunststücke beschränkt hätte, die durchschossene Spielkarte und die mit den Füßen gespielte Geige, sie hätten sich das als Ablenkung durchaus gefallen lassen. Aber nein, der Idiot musste auch noch eine Ansprache halten. Und was für eine! Er erzählte lang und breit die eigene Lebensgeschichte, und so, wie er sie darstellte, war sie ein Heldenepos, in dem er durch seinen eisernen Willen und seine positive Einstellung alle Hindernisse überwunden und die von Geburt an fehlenden Arme durch besonders geschickte Füße ersetzt hatte. «Auch euch kann das gelingen, meine lieben Kriegskameraden. Ihr müsst nur an euch selber glauben.»
    Schwampf, wie man am Theater sagt.
    Sie haben ihn nicht ausgepfiffen, das nicht. So viel Energie brachten sie nicht auf. Als er sein Gegeige glücklich zu Ende gebracht hatte, klatschten sogar ein paar. Seine Assistentin kriegte bedeutend mehr Applaus. Die war immerhin hübsch.
    Unthan bekam von seinem eigenen Reinfall nichts mit. Dafür war er viel zu eitel. «Haben Sie gemerkt, wie still es im Saal war?», fragte er mich hinterher. «Die Menschen werden immer still, wenn man ihr Innerstes berührt.»
    Schade, dass er schon vor dem Abendessen weitergefahren ist. Ich hätte ihn gern neben den doppelt Armamputierten gesetzt, dem man sein Essen Bissen für Bissen in den Mund schieben musste. «Der Arsch hat’s gut», hatte der zu mir gesagt. «Der ist schon ohne Arme geboren. Aber ich bin Uhrmacher.»
     
    Bin ich ein Unthan? Ein Alemann? Bin auch ich bereit, mich zu verkaufen?
    Wenn das Leben eine Rechnung wäre, eine Buchhaltung, mit sauberen Kolonnen links und rechts, Gewinn und Verlust, schwarze Tinte, rote Tinte, dann müsste ich nicht lang überlegen. Dann wäre klar, was ich zu tun habe. Moral ist immer eine schlechte Investition. Da ist ein Kunde, und ich bin die Ware. Angestoßen und mit kleinen Fehlern. Aber immer noch verkäuflich. Ich wohne nicht zufällig in einem Bordell.
    Warum bringe ich es nicht hinter mich und gestehe es mir ein?
    Wenn ich es nicht tue, wird mich niemand dafür loben. Es gibt keinen Applaus dafür, dass man den Zug nach Auschwitz besonders elegant besteigt. Keine Lorbeerkränze und begeisterten Kritiken. Keine Bravo-Rufe. Es werden nur alle froh sein, dass ich auf der Liste stehe und nicht sie.
    Der Alemann hat im Krieg jeden Tag in einem Bett geschlafen. Der Unthan hatte einen Wagen mit Chauffeur. Wenn sie sich je geschämt haben, konnten sie das wenigstens komfortabel tun.
    Aber sie haben sich nicht geschämt.
    Warum auch?
    Ich habe bessere Gründe als sie. Viel bessere. Aus Auschwitz ist noch keiner zurückgekommen. Ich will nicht in diesen Zug steigen.
    «Wir fahren mit der Eisenbahn, Tschu-tschu-Eisenbahn», hat Großpapa gesungen. «Wir fahren mit der Eisenbahn, wer fährt mit?»
    Ich will nicht mitfahren.
    Ich will nicht.
    Man müsste tot sein können, ohne vorher sterben zu müssen. Das wäre eine Alternative.
    Es kann mir niemand einen Vorwurf machen. Sie würden es alle tun. Alle.
    Die meisten.
    Ich bin kein Held. Auf der Bühne nicht und nicht im Leben. Ich bin Charakterspieler. Einer, der den andern einen Charakter vorspielt.
    Es ist mein Beruf, Filme zu drehen. Mein Handwerk. Wenn einer Arzt ist, arbeitet er auch in der Krankenstation. Wenn einer Schuhmacher ist …
    Es ist nicht dasselbe.
    Rahm verlangt von mir, dass ich ihm lügen helfe. Zweifelt keine Sekunde daran, dass ich es tun werde. Er ist der Allmächtige. Der Herr über Leben und Tod.
    Ich will nicht sterben.
    «Es gibt schlimmere Dinge als Verachtung», hat Olga gesagt. «Vielleicht», hat sie gesagt, «ist der Krieg ja vorher vorbei.» Meint sie das, oder will sie mir nur ein Türchen aufmachen, durch das ich hinausschlüpfen kann und mich retten?
    Egal.
    Es ist nur ein Film. Ein Reportagefilm. Noch nicht mal Dialoge. Keine Spielhandlung. Nur zeigen, was ist.
    Nur zeigen, was nicht ist.
    In der Hölle sitzen und vom Paradies erzählen.
    Ich kann das nicht. Ich will das nicht. Ich darf das nicht.
    Ich werde Rahm antworten, dass ich mich weigere.
    Ich werde Rahm antworten, dass ich den Film drehe.
    Ich will nicht in diesen Zug getrieben werden wie ein Stück Vieh. 8 Pferde oder 40 Mann . Ich habe Angst.
    Die SS, hört man, muss für die Deportationszüge bei

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