Gerron - Lewinsky, C: Gerron
gaben mir viel mehr. Brachten mir bei, wie man auf seine Zuschauer hört und auf ihre Stimmungen reagiert. Später war mir diese Erfahrung oft nützlich.Bei den Veranstaltungen in der Aula des Schulhauses hatte ich immer ein dankbares, wenn auch primitives Publikum. Die feine Klinge eines klugen Wortspiels hätte man bei unsern Patienten nicht führen dürfen. Da war der Zweihänder besser angebracht. Ein Kalauer oder eine faustdicke Zote. Sie hatten sonst nicht viel zu lachen. Es machte mich stolz, wenn sie das für ein paar Minuten vergaßen.
Otto fand gut, was ich da machte. Aber obwohl wir schon längst Freundschaft geschlossen hatten, wäre es nicht seine Art gewesen, mir das so direkt zu sagen. Man musste seine Grobheiten zu deuten wissen. Es war ein Lob, als er einmal zu mir sagte: «Sehr vernünftig von dir, dass du vor lauter Krüppeln auftrittst. Da kann dir dein Publikum nicht weglaufen.»
Und dann Unthan. Die absurde Geschichte mit Carl Hermann Unthan. Dem Mann mit dem ärmellosen Jackett.
Es war schon mehr als ein Dutzend Jahre her seit jenem Abend im Wintergarten , als er aus dem Herz-As das Herz herausgeschossen und Geige gespielt hatte, ohne Arme. Jetzt stand sein Name in einem offiziellen Anschreiben des preußischen Kriegsministeriums, Abteilung für innere Information. Der beliebte Künstler, teilte man uns mit, habe sich in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt, um einschlägig verwundeten Soldaten am eigenen Beispiel zu demonstrieren, dass auch mit fehlenden Gliedmaßen ein erfolgreiches Leben durchaus möglich sei. Die Moral der Kriegsbeschädigten solle dadurch gestärkt und ihnen wieder neuer Mut gemacht werden. Es würden hiermit alle Wiederherstellungsstationen verpflichtet, entsprechende Veranstaltungen durchzuführen. Worüber hieramts innert drei Wochen Meldung zu erstatten ist.
Mit anderen Worten: Herr Unthan konnte wegen des Krieges nicht mehr im Ausland gastieren. In Deutschland hatte man sich an seinen Kunststückchen satt gesehen, und so hatte er sich ein patriotisches Mäntelchen umgehängt – ohne Ärmel, natürlich! – und sich auf diese Weise eine Tournee organisiert. Dasselbe Ministerium,das uns regelmäßig mitteilte, wegen der kriegsbedingt knappen finanziellen Mittel kann die Lieferung der angeforderten Ersatzglieder leider nicht fristgerecht erfolgen , dasselbe Kriegsministerium hatte in seiner Kasse genügend Geld für Herrn Unthans bestimmt nicht allzu bescheidenes Honorar. Alle Kosten wurden übernommen; wir hatten nur für angemessene Unterbringung zu sorgen.
Und damit fing der Ärger schon an.
Unthan reiste nicht mit dem Zug an, sondern hatte selbstverständlich einen eigenen Wagen. Samt Fahrer und junger Begleiterin. Die er uns als seine Assistentin vorstellte, «die mich bei meinem Auftritt unterstützen wird». Sie kümmerte sich auch gleich um das Abladen des riesigen Requisitenkoffers. So wie sie besorgt um die beiden Hoteldiener herumflatterte, hätte man meinen können, er enthalte mindestens die Kronjuwelen. Samt Reichsapfel.
Unthan muss damals schon gegen siebzig Jahre auf dem Buckel gehabt haben, aber er versuchte mit allen Mitteln, jünger zu wirken. Ich habe das später noch bei vielen Variétékünstlern erlebt. In diesem Beruf, wo immer alles glitzern muss, will niemand alt werden. Hier in Theresienstadt gibt es einen weißhaarigen tschechischen Jongleur, der seine Nummern nur noch schweigend vorführt, weil beim Reden die fehlenden Zähne sein Alter verraten würden. Früher hat sein bester Trick darin bestanden, mit acht Eiern zu jonglieren. In Theresienstadt gibt es keine Eier, und wenn, würde man ihm so etwas Kostbares nicht anvertrauen.
Unthans Zähne waren vollständig. So unnatürlich weiß, wie es nur teuer eingepasstes Porzellan sein kann. Die Haare schwarz gefärbt. Obwohl die Veranstaltung erst für den nächsten Tag vorgesehen war, stieg er bereits mit geschminktem Gesicht aus dem Wagen. Wir hatten für ihn Zimmer im gleichen Gasthaus organisiert, in dem auch unser besoffener Major residierte. Unthan hatte das Gebäude noch nicht betreten, als er sich auch schon über die Unterbringung beschwerte. Er hätte erwartet, dass man im besten Haus am Platze für ihn reserviere, das sei doch wohl nicht zuviel verlangt, wenn sich ein weltberühmter Künstler zu wohltätigenZwecken zur Verfügung stelle, man habe ihm in Berlin auch entsprechende Zusicherungen gemacht. Aber er wolle für einmal in den sauren Apfel beißen,
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