Gerron - Lewinsky, C: Gerron
nicht mal mehr richtig zuschlagen», hat er gesagt. «Antippen genügt, und sie fallen von selber um.»
Ich will noch nicht verloren haben.
Ich finde meine Wut nicht mehr, und das macht mir Angst. Sie ist nicht mehr da. Ausgebleicht, weggetrocknet, verschwunden. Zu oft abgetippt, das Drehbuch, und jetzt gibt das Farbband keine Schwärze mehr her.
Oder nur noch manchmal. Bei der Dresdner Kaserne, dort, wo die ganzen alten Frauen untergebracht sind, ist ein Wasserhahn, aus dem meistens kein Wasser kommt, die Leute schütteln den Kopf und gehen weiter mit ihren Blecheimern, aber wenn man lang genug wartet, ertönt manchmal so etwas wie ein Husten aus der Leitung, ein Stöhnen, und dann kommt doch noch ein Schwall Wasser und noch einer, kein sauberes Wasser, es ist vom Rost rot verfärbt, aber man kann es trinken, wenn man Durst hat. So geht es mir mit meinen Gefühlen. Manchmal sind sie noch da, ein ganzer Schwall, und dann ist der Rost auf der Seele wieder zu stark und ich warte vergeblich.
Und ich bin doch durstig.
Ich bin kein guter Mensch, verdammt noch mal, ich will auch keiner werden. Das ist nicht mein Rollenfach. Ich heiße Gerron und nicht Rühmann. Ich bin kein Held, aber ich will auch kein Komparse sein, den man dahin schickt und dorthin, der nur das Bild ausfüllt, und dem es scheißegal ist, was er gerade darstellt, Opfer oder Täter, weil es ihn ja nichts angeht, was mit ihm passiert, solang ernur seine Gage kriegt und eine warme Suppe in der Kantine. Ich bin kein Komparse, verdammt noch mal! Ich bin ein Hauptdarsteller! Ich bin Kurt Gerron!
Ah.
Ich bin noch nicht tot. Ich habe es noch einmal geschafft, wütend zu werden. Noch einmal geschafft, ich selber zu sein. Wer immer das sein mag.
Kurt Gerron. Mit rollendem R zu sprechen, bitteschön.
Es gab eine Zeit – ein Jahrzehnt ist das gerade mal her, aber das Jahrzehnt dauert nun schon tausend Jahre –, es gab eine Zeit, da mussten sie für mich alle paar Monate die Autogrammkarten nachdrucken. Da war der Gerron ein Verkäufer, wie sie bei der Ufa sagten. Wenn ich auf dem Filmplakat stand, gingen die Eintrittskarten weg. In jedem Lokal in Berlin kriegte ich den besten Tisch. In einer Taxe brauchte ich nur zu sagen: «Nach Hause!», und der Fahrer wusste: Paulsborner Straße. Und das nicht nur bei der Kraftag, die mich dafür bezahlte, dass ich für ihre Autodroschken Werbung machte.
Das war meine große Zeit. Meine großen Zeiten, wie Oberstudiendirektor Kramm gesagt haben würde. Plural. Als es nur immer aufwärts ging und aufwärts und noch weiter aufwärts. Als ich nichts falsch machen konnte.
Und hatte doch gerade erst mit wackligen Knien meinen Wedekind aufgesagt. Heute noch auf seidnen Kissen, morgen durch die Brust geschossen. Hab ich auch mal gesungen. Ich habe alles gesungen. Überall. Im Küka und an der Wilden Bühne, in der Rakete und im Kabarett der Komiker, bei Nelson und im Metropol. Keine Feier ohne Meier. Nicht mal in meinen wildesten Phantasien hätte ich mir so eine Karriere erträumt. Das Paradies der Rampensau.
Es ging rasend schnell. Als ob man auf ein Karussell steigt, und das tuckert nicht gemütlich los, sondern gibt Gas wie Caracciola. Wir reiten auf hölzernen Pferden und werden im Kreise gedreht. Man hätte Angst kriegen können. Ich habe es genossen.
Das Lampenfieber war bald ausgeheilt. Die Resi hat das schonrichtig diagnostiziert: Größenwahn immunisiert. Größenwahn und Applaus. Kannste was, haste was, biste was. Ich bin ja nicht schön, aber frech . Das hat der Nelson mal für die Waldoff geschrieben. Zu mir hat er gesagt: «Eigentlich hättest du das Lied singen müssen.» Ein guter Freund, der Nelson. Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist.
Er hatte ja recht. Wenn’s beim Theaterspielen auf Schönheit ankäme, hätt ich’s nicht einmal in die dritte Reihe Komparserie geschafft. Ich wurde immer unförmiger. Mein Großvater war wohl doch ein richtiger Riese gewesen. Ich war so groß, wie der Curt Bois klein war. So dick wie der Siegfried Arno dünn. Sind auch beide in Hollywood. Ich könnte jetzt neben ihnen in der Sonne sitzen und Orangen direkt vom Baum essen. Ich wollte ja nicht. Selber schuld. Immer ist Größenwahn eben auch nicht nützlich. Schützt einen zwar vor Lampenfieber, aber man wird dumm davon. Lebensgefährlich dumm.
Ein paar Jahre lang ging es immer nur rauf. Als ob sie nur auf mich gewartet hätten. Im Kabarett schrieben sie mir die Texte auf den Leib. Wo ja genügend Platz dafür
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