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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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allerersten Mal in Berlin, nur für ein paar Tage. Wollte Kontakte knüpfen. Darin war er immer gut, besonders wenn es um Frauen ging. Keine Ahnung, wie er es in der kurzen Zeit geschafft hatte, bei Resi einen Auftritt zu kriegen. Nun ja, sie hatte immer einen guten Riecher. Ekelhaft begabt war er ja.
    «Ihr beide müsstet euch gut verstehen», meinte sie. «Zwei abgebrochene Medizinstudenten, die beide im Krieg waren.» Genau was später der Aufricht auch gedacht hat.
    Sie irrten sich beide. Medizin hat der Brecht nie studiert. Sich nur an der Fakultät eingeschrieben, um seine Einberufung zu verzögern. Hat dafür sogar die Unterschrift seines Vaters gefälscht, worauf er besonders stolz war. An der Front ist er nie gewesen. Von wegen Soldaten wohnen auf den Kanonen ! Ein paar Monate leichtester Dienst in einem Reservelazarett. In der eigenen Stadt. Wo einem Muttern das Abendbrot warmstellt. Die ganze Zeit ohne einen echten Verwundeten zu sehen. Nur Geschlechtskrankheiten haben sie dort behandelt. Hat sich geschickt durch den Krieg gemogelt, das muss man ihm lassen. Und in seinen Liedern machte er auf abgebrühten, zynischen Veteran. Wenn man tot ist, kann man nur noch stinken. Am Applaus der Leute merkte man, dass er sie damit berührte.
    Er war schon damals ein Heuchler. Nein: ein Chamäleon.
    Ein von der Muse geküsstes Chamäleon.
    Damals im Küka strahlte er eine faszinierende Mischung von Bescheidenheit und Überheblichkeit aus. Die Bescheidenheit hat sich dann bald verloren. Als ich ihm bei der Dreigroschenoper wieder begegnete, war er eine Diva. Prunkte so eitel mit seinem Verstand wie ein Tenor mit dem hohen Schmetter-C. Er war brillant, sicher der brillanteste von all den Autoren, denen ich begegnet bin, aber er wollte dafür auch bewundert werden.
    An jenem Abend war er freundlich zu mir. Am Schiffbauerdammbehandelte er mich dann nur noch als Werkzeug. In Paris, als wir uns als Emigranten trafen, hat er mich einen Haufen Scheiße genannt.
    Wenn man tot ist, kann man nur noch stinken.
     
    Ich müsste wütend werden, wenn ich an den Brecht denke, aber ich kriege die Wut nicht mehr zusammen. Ich weiß, dass ich ihn nicht mag und er mich schon gar nicht, aber ich weiß es nur noch und fühle es nicht mehr. Als ob es einen andern Brecht beträfe und einen anderen Gerron, zwei Figuren aus einem Film, oder aus einem Drehbuch, das nie verfilmt wurde, weil die Geschichte nicht originell genug war und die Charaktere nicht überzeugend. Wie eins der Szenarien, die ich mir mit Kalle ausgedacht habe. Du wärst ein Dichter, und ich ein Schauspieler, und dann würden wir uns fürchterlich streiten. Nur ein Spiel. Wo man jederzeit die Regeln ändern kann, man muss es nur beschließen, und dann ist alles andersrum, Friede, Freude, Eierkuchen, zwei alte Männer treffen sich, der eine sagt: «Weißt du noch, damals im Künstler-Café?», und der andere nickt, und dann schauen sie sich tief in die Augen, Großaufnahme, sie reichen sich die Hände und Abblende und Schlusstitel.
    Ich will aber wütend sein. Nur: Mein Zorn hat sich verlaufen. Ist verschwunden, und ich weiß nicht wohin. Ich habe die eigene Rolle vergessen. Das ist ein schlechtes Zeichen.
    Es ist nicht die Regel, dass man milder wird, wenn es einem beschissen geht, dass man verzeiht und vergibt. Das ist nur in Drehbüchern so und in Heiligenlegenden. Die Wirklichkeit ist anders. Die Gefühle, auch die negativen – gerade die negativen! – halten einen aufrecht. Wer noch hassen kann, ist noch nicht tot. An der Rampe in Westerbork hat sich mal einer aus dem Viehwaggon wieder herausgekämpft, mit letzten Kräften, obwohl sie schon auf ihn einprügelten, nur um einen der Zurückbleibenden noch zu verwünschen. Es ging um ein Stück Brot, das der eine sich aufgespart hatte und der andere ihm weggefressen, irgendwas in der Art. Es kommt nicht darauf an, um was es ging. Wichtig war nur, dass er sich seinenZorn noch lebendig erhalten hatte und der Zorn ihn. Er hatte noch nicht aufgegeben.
    Wenn ich aufgebe, haben sie gewonnen.
    Es ist doch so: Erst wenn die Leute gütig werden und nur noch milde lächeln, muss man sich Sorgen um sie machen. Dann geht es zu Ende mit ihnen, und das liegt nicht am Hunger oder an einer Krankheit, oder doch nur in zweiter Linie, das liegt daran, dass sie aufgegeben haben. Wie ein Boxer, der die Deckung sinken lässt. Der Schmeling hat mir einmal erklärt, dass er es seinem Gegner an den Augen ansieht, wenn es soweit ist. «Ich muss dann

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