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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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war. Und ich machte was draus. Wenn ich mit der Peitsche knallte, kuschte das Publikum. Der Zirkus herrscht!
    Und im Kientopp …
    Ich hab mir immer vorgenommen, mal die Filme zu zählen, in denen ich mitgespielt habe. Sie nur zu zählen. Die Rollen bring ich ohnehin nicht mehr zusammen. Das allererste war eine Geschichte namens Spuk auf Schloss Irgendwas . Eigentlich haben sie gar nicht mich dafür engagiert, sondern nur meinen Bauch. Und so ging’s dann weiter. Ich war Weltmeister darin, bedrohlich in die Kamera zu starren.
    Die Charakterrollen kamen später. Neben dem Kabarett immer mehr das Theater. Und immer noch mehr und noch mehr. Ich war ein Allesfresser und konnte nicht genug kriegen. Wir sehnen uns schwindlig zu werden, bevor noch das Ringelspiel steht .
    Ich hab meinen Namen berühmt gemacht. Kurt Gerron, da wusste man, wer das war.
    Mama hat jeden einzelnen Programmzettel gesammelt, jeden Filmkurier und jede Kritik. Mir immer ganz stolz gemeldet, wenn sie sich für den Plunder wieder ein neues Album kaufen musste.
    Die ganze sorgfältig eingeklebte Sammlung, für sie mindestens so wertvoll wie das Poesiealbum, aus dem ich mal so frevelhaft eine Seite herausgeschnitten habe, der ganze Stapel Lebensgeschichte ist an der Klopstockstraße liegen geblieben. Jetzt zündet sich der Effeff damit seine stinkenden Zigarren an.
    Egal.

Alles egal. Scheißegal. Was ich wo gespielt habe und mit wem, ob es den Leuten gefallen hat oder nicht, was die Zeitungen darüber schrieben. Alles nicht wichtig. Nicht auf Dauer. So ein Theatererfolg ist wie eine anspruchsvolle Mahlzeit: ewig lange Zubereitung, viel zu schnell aufgefressen, und kaum hat man sie verdaut, kriegt man schon wieder Appetit auf die nächste. Die dann möglichst ganz anders schmecken soll. Der letzte Gang war scharf gewürzt? Dann bitte jetzt etwas Süßes.
    Und runter damit.
    Hunger hält länger vor. Hunger hat ein Gedächtnis. An eine angebrannte Mahlzeit erinnert man sich länger als an eine gelungene. Ein Premierenskandal so richtig mit Schmackes, das bleibt hängen. Wenn ich nur an den Baal denke. Aber das war Jahre später.
    Alles nicht wichtig. Nur das eine. Der Glücksfall meines Lebens. Der sich – mein Himmelsdramaturg liebt überraschende Wendungen – erst mal als Unglück ankündigte. Als Krankheit. Eine Verhärtung in der Leistengegend, die mich in Panik versetzte. Die alte Geschichte geht wieder los, dachte ich. Es war aber eine neue Geschichte, die anfing.
    1923 war das. Ziemlich genau zehn Jahre, bevor die Verrückten in Deutschland die Macht übernahmen. Zehn Jahre, bevor sie uns ins Lager verschickt haben. Längere ruhige Passagen sind in meinem Drehbuch nicht vorgesehen. Den letzten Wahnsinn hatten wir geradehinter uns, die Inflation mit ihrem Affentanz um wertlose Milliarden und Billionen. Es war Zeit für eine neue Normalität. Sogar in meinem Leben.
    Erst mal hatte ich nur Angst. Was ich da in meinem Körper ertastete, konnte etwas Bösartiges sein. Das ist der Nachteil eines Medizinstudiums: Wenn man selber was hat, fallen einem immer gleich die scheußlichsten Komplikationen ein. Ich bin nie gern zum Arzt gegangen, begreiflich bei diesem Körper, aber jetzt musste es sein. Den Dr. Rosenblum gab es nicht mehr. Ganz plötzlich gestorben. Am gleichen Karzinom wie mein Großvater. Ich hätte zu seiner Beerdigung gehen wollen, aber an dem Nachmittag hatten wir Probe.
    Die Kollegen empfahlen mir einen jungen Mann namens Drese. Von dem schwärmten sie alle und sagten ihm eine große Karriere voraus. Die hat er dann auch gemacht. Otto Wallburg, der wegen seiner Zuckerkrankheit bei ihm in Behandlung war, hat es mir später in Amsterdam erzählt. Der Drese ist etwas Wichtiges bei der Reichsärztekammer geworden und hat sich beim großen Judski-Ausverkauf eine Klinik unter den Nagel gerissen.
    Auf mich – was bin ich doch für ein Menschenkenner! – machte er einen ganz sympathischen Eindruck. Was ich da ertastet hatte, meinte er, sei wohl etwas Harmloses, eine ungefährliche Spätfolge der alten Verletzung, aber ganz sicher könne man nicht sein. Ich solle mich doch besser röntgen lassen. Das wollte ich nur höchst ungern. Nicht aus medizinischen Gründen. Weil Berlin eben Berlin war. Die verklatschteste Stadt der Welt. Wenn jemand wie ich, der doch schon recht bekannt war, zu so einer Untersuchung ging, da musste nur eine Praxishilfe oder ein Röntgentechniker das Maul nicht halten können, und schon wüsste die ganze Stadt, was mir

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