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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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kann nicht am selben Abend gewesen sein. Ich bringe da etwas durcheinander. Ich bin ja dann öfter im Küka aufgetreten, nicht mehr an den Anfängermontagen und auch nicht mehr mit Wedekind. Die Resi hat mir andere Texte besorgt, politische, weil sie fand, dass das zu mir passe.
    Ein seltsamer Gedanke, dass Politik zu dem einen passen soll und zu dem andern nicht. Als wenn man zu jemandem sagte: «Sie sollten es mal mit Tuberkulose probieren, das passt zu Ihnen.»
    Im Küka habe ich meine ersten Chansons gesungen; die Resi hatte diesen Klavierspieler, der auch ohne Noten alles begleiten konnte, wenn man es ihm nur einmal vorsummte. «Eine Stimme mit Charakter», sagten die Leute. Eine höfliche Formulierung für «Nicht schön, aber kräftig.» Egal, Lob ist Lob und wird immer gern genommen. Man schien sich einig zu sein: Ich war eine Rampensau mit Talent.
    Nicht dass ich gleich ein Star gewesen wäre. So was gab’s im Küka nicht. Aber es kam schon mal vor, dass mir einer nach dem Auftritt ein Paar Wiener spendierte. Was mir bedeutend lieber war als jeder Lorbeerkranz.
    Ah, Wiener mit Senf! Irgendwann habe ich das zum letzten Mal gegessen und nicht gewusst, dass es ein Abschied war. Sie hätten mir sonst kaum geschmeckt.
    Es war also nicht am Tag meines ersten Auftritts. Ein paar Wochen später. Oder Monate. Ich habe Kollegen gekannt, die konnten jede ihrer Premieren aufzählen. Mit genauem Datum. Als hätten sie einen Bühnen-Almanach verschluckt. Bei mir geht das alles durcheinander. Welches Lied ich in welcher Revue gesungen habe, oder welche Rolle wann gespielt. Keine Ahnung. Kommt nicht drauf an. Was nicht hängen bleibt, war auch nicht wichtig.
    Dass ich ihn kennenlernte, das war wichtig. Auch wenn ich mich später mit ihm verkracht habe wie mit keinem anderen Menschen. Heute noch, wo es wirklich egal ist, bin ich fest davon überzeugt, dass es nicht mein Fehler war, sondern seiner. Weil er ein selbstbezogenes, rücksichtsloses, verlogenes Arschloch ist. Ein Genie möglicherweise. Aber ein Arschloch ganz bestimmt.
     
    Eugen. Wenn ich ihn wütend machen wollte, musste ich ihn so nennen. Er hasste den Namen, weil er nicht zu der proletarischen Figur passte, die er sich auf den schmächtigen Leib geschneidert hatte. Das war für ihn, wie wenn eine Julia auf der Bühne ihren Partner nicht mit Romeo, sondern mit seinem privaten Namen angesprochen hätte. Ein größres Elend gab es nirgendwo, als das von Julia und ihrem Eugen. Da ist die ganze schöne Romantik doch gleich im Eimer. Eugen, das ist der Name für ein braves Bürgersöhnchen aus Augsburg. Und er wollte doch ein Bürgerschreck sein. Bertolt sollte man ihn nennen. Oder noch besser: Bert. Einen neuen Charakter hatte er sich gezimmert und wollte nicht durch falsche Stichworte aus der Rolle gebracht werden.
    An dem Abend, als wir uns zum ersten Mal begegneten, sang er eigene Lieder zur Gitarre. Er spielte nicht besonders gut, und ein großer Sänger war er auch nicht. Aber er hatte das, was man haben muss, wenn einem die Leute zuhören sollen. Wenn er dastand, den Fuß auf einem Hocker, dann war die Bühne nicht leer. Dann war da jemand. Es gibt diese Geschichte von dem jungen Schauspieler, der keine Ausstrahlung hat und versucht bei Lutter & Wegner eine Flasche Sekt zu bestellen. Er kann seinen Wunsch noch so laut in den Saal hinauströten, der Kellner glaubt ihm nicht. Dem Brecht hätte er die Flasche sofort gebracht. Keinen Sekt, sondern gleich Champagner. Das hätte besser zu ihm gepasst, zu diesem Luxusproletarier.
    Im Küka trank er Bier. Den Wacholder, den ihm Resi dazu einschenkte, ließ er stehen. Dabei hatte er auf der Bühne gerade noch den großen Säufer markiert. In dem grünen Kuddelmuddel sitzt ein Aas mit einer Buddel. Er war nicht halb so verrucht, wie er sich gern gab. Auch nicht so weltweise. Besang da wie ein alter Mann die vergessenen Jahre seiner Jugend, und war doch erst zweiundzwanzig. Ein Jahr jünger als ich. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Jugendlichkeit, der Herr Brecht. Ein Schauspielschüler, der ums Verrecken den alten Moor spielen will. Noch Jahre später, bei den Proben zu Happy End , konnte ich ihn zur Weißglut treiben, indem ich sagte: «Jetzt hören Sie mal zu, junger Mann …» Wir haben unsimmer gesiezt, auch als wir zusammen diesen Großerfolg feierten. Als wir uns dann verkracht hatten, erst recht.
    An jenem Abend im Küka wusste ich nicht, dass wir mal eine gemeinsame Geschichte haben würden. Er war zum

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