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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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fehlte. Im wörtlichsten Sinne des Wortes fehlte. Eine unerträgliche Vorstellung. Und ein weiterer Beweis für meinen Größenwahn. So interessant berühmt war ich damals noch gar nicht.
    Ich wehrte mich wochenlang gegen die Röntgerei, aber der Drese drängte immer weiter. Machte düstere Andeutungen. Wenn es denn etwas Gefährliches wäre, und man würde es wegen meiner Sturheitnicht rechtzeitig erkennen, dann müsse er für seine Person jede Verantwortung ablehnen. Da fiel mir der Thalmann ein. Mein einarmiger Studienkollege.
    Seit dem gemeinsam bestandenen ersten Staatsexamen hatten wir uns nicht mehr gesehen. Ich war wieder eingezogen worden, während er weiter studierte. Irgendwann, es war noch nicht so lang her, hatte ich Post von ihm bekommen: die Anzeige von der Eröffnung seiner eigenen Praxis. Röntgenologische Fachpraxis Dr. med Thalmann. Eine logische Spezialisierung. Für Chirurgie hätte er zwei Arme gebraucht.
    Er lebte jetzt in Hamburg, das war das Beste an der Sache. Weil mich dort noch keine Sau kannte, und ich ein Patient unter anderen sein würde.
    Ich schrieb ihm also einen Brief, er schrieb zurück, wir machten einen Termin aus, und ich fuhr los. Kaufte mir eine Fahrkarte und stieg ein.
    Von Berlin nach Hamburg. Mit dem Zug ins Glück . Klingt wie der Titel für einen Film.
     
    Nur dass man einen Film anders inszeniert hätte. Nicht in diesem Bühnenbild.
    Ein kahler Raum. Die Wände weiß verputzt. Keine Vorhänge vor den Milchglasscheiben. Der graue Metallklotz des Röntgengeräts mit seinen Schienen und Feststellschrauben so unpersönlich und bedrohlich wie eine Guillotine. Der Rest der Einrichtung mehr als spartanisch: zwei Haken für die Kleider – der einzige Bügel trug die Werbeaufschrift eines Kaufhauses – und ein simpler Küchenhocker. Mit einem hygienischen Papier belegt, das einem jede Lust nahm, sich hinzusetzen.
    Kein Regisseur der Welt wäre auf den Gedanken gekommen, ausgerechnet hier eine Liebesgeschichte beginnen zu lassen.
    Der einzige Wandschmuck ein gerahmtes Dokument. Die auf Pergamentimitation gedruckte Bestätigung, dass eine gewisse Olga Meyer aus Hamburg ihre Ausbildung zur Röntgenassistentin erfolgreichabgeschlossen habe. Es war das erste Mal, dass ich ihren Namen las.
    Olga Meyer. Olga Gerron, geborene Meyer. Olga Sara Gerson, genannt Gerron.
    Den Raum, in dem wir uns zum ersten Mal begegneten, kann ich heute noch beschreiben. Die Fliesen auf dem Boden könnte ich zählen. Ich habe es wohl auch getan, beim Warten. Ich ertrage Nichtstun schlecht.
    Dann kam Olga herein, die Metallkassette mit der Photoplatte unter dem Arm, und, egal wie ich mein Gedächtnis anstrenge, ich wüsste nicht zu sagen, wie sie an jenem Tag ausgesehen hat. Wenn ich an sie denke, blenden sich so viele Bilder übereinander, dass kein einzelnes mehr erkennbar ist.
    Sie wird ihre Haare nicht offen getragen haben. Das wäre nicht angebracht gewesen in einer Arztpraxis. Hochgesteckt oder zu einem Knoten zusammengedreht. Ihre Gouvernantenfrisur, wie sie das nennt.
    Ihr ernsthaftes Gesicht wird sie gemacht haben. Ihr liebes ernsthaftes Gesicht, das sie immer aufsetzt, wenn sie sich auf etwas konzentrieren muss, und wenn es nur um das Annähen eines Knopfes geht. Sie bekommt dann ganz schmale Augen, und ihr Nasenrücken kräuselt sich. Als ob sie einem Geruch nachspürt, der sich nicht richtig einordnen lässt.
    Den weißen Kittel wird sie angehabt haben, in dem sie ein bisschen aussah wie ein Arzt. Wenn es irgendwo auf der Welt so unwiderstehlich niedliche Ärzte geben könnte. Sie war unwiderstehlich an jenem Tag, das lege ich mir nicht nur so zurecht. Das war sie immer.
    Ist sie immer noch.
    Wenn ich in der Erinnerung an unsere erste Begegnung auch kein exaktes Bild von ihr habe, etwas anderes weiß ich noch sehr genau: Dass ich erschrocken bin, als sie hereinkam. Thalmann hatte mir nichts davon gesagt, dass eine Frau die Aufnahme machen würde. Es ging schließlich um eine Sache, die man lieber nicht mit dem anderen Geschlecht bespricht. Man muss mir diese Reaktion angesehenhaben. Wenn uns später jemand fragte: «Wie war das bei euch, als ihr euch kennengelernt habt?», dann antwortete Olga immer: «Mein Mann hat mich angesehen, als ob ich die hässlichste Frau der Welt wäre.»
    So würde niemand eine Liebesgeschichte inszenieren. Nicht an diesem Ort. Nicht mit diesem Dialog. Auch der unerfahrenste Autor würde nicht auf den Gedanken kommen, der weiblichen Heldin als ersten Satz ins

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