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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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dreißig hin:
    dreißig.
    Testament
    Wo ist die Kasse?
    Wo ist der Stift?
    Wo ist die Tasse?
    Wo ist das Gift?
    Da liegt ja die Kasse!
    Da steckt ja der Stift!
    Da steht ja die Tasse!
    Da ist ja das Gift!
    Sie kriegt die Kasse.
    Er kriegt den Stift.
    Du kriegst die Tasse.
    Ich nehm das Gift.
    Alltag
    Ich erhebe mich.
    Ich kratze mich.
    Ich wasche mich.
    Ich ziehe mich an.
    Ich stärke mich.
    Ich begebe mich zur Arbeit.
    Ich informiere mich.
    Ich wundere mich.
    Ich ärgere mich.
    Ich beschwere mich.
    Ich rechtfertige mich.
    Ich reiße mich am Riemen.
    Ich entschuldige mich.
    Ich beeile mich.
    Ich verabschiede mich.
    Ich setze mich in ein Lokal.
    Ich sättige mich.
    Ich betrinke mich.
    Ich amüsiere mich etwas.
    Ich mache mich auf den Heimweg.
    Ich wasche mich.
    Ich ziehe mich aus.
    Ich fühle mich sehr müde.
    Ich lege mich schnell hin:
    Was soll aus mir mal werden,
    wenn ich mal nicht mehr bin?
    Bitte ausschneiden
und bei Bedarf vorlegen
    Leis öffnet sich das Tor zur Nacht,
    es wird von einem Hund bewacht,
    der stumm auf einen Stern starrt.
    Der Hund läßt jeden durch das Tor,
    legt er ihm diese Zeilen vor
    gez. Robert Gernhardt
    Ermutigung
    Hach,
    wer wird denn ängstlich
    Hach schrein?
    Laßt uns
    schwach sein!
    Sprechen und schweigen
    Mir steht das Wort ja so was zu Gebot -
    geht es um Lippen, sage ich nur »rot«;
    ich sage »rot«, und jeder sieht die Dinger
    direkt vor sich und leckt sich seine Finger.
    Mir ist die Sprache so was von vertraut -
    verlobt sich eine Frau, nenn' ich sie »Braut«;
    ich nenn' sie »Braut«, und sogleich spür'n die Knaben:
    Dies schöne Kind ist vorerst nicht zu haben.
    Mir fallen Sätze so etwas von leicht -
    ist was erreicht, sag' ich »Es ist erreicht.«
    Nur diesen Satz. Den Rest kann ich mir schenken.
    Denn was erreicht ist, kann sich jeder denken.
    Mir geht das Schweigen so etwas von nah -
    es gibt mir das Gefühl, ich sei nicht da.
    Sei ausgelöscht. Verschwunden. Sie versteh'n?
    So hör'n Sie doch! Schon bin ich nicht zu seh'n:

Ein Gedicht aus der
›Titanic‹
    1981
    Vater, mein Vater!
    Vater, mein Vater!
    Ja, mein Sohn, was ist?
    Vater, mein Vater!
    Wie werde ich Rassist?
    Nun – ein Rassist hält nichts von andern Rassen.
    Du müßtest, beispielsweise, Neger hassen.
    Den Neger? Nein, den haß' ich nicht,
    den dummen schwarzen Mohr.
    Ich haß' doch keinen Stinkemann,
    wie komm' ich mir da vor?
    Nun gut, dann muß es eben anders gehen.
    Wie ist's – willst du vielleicht Chinesen schmähen?
    Den Chinamann? Den schmäh' ich nicht!
    Dies Schlitzaug gelb und feig
    ist nicht mal wert, daß ich ihm keck
    den blanken Hintern zeig'!
    Das lehnst du ab? Dann mußt du danach trachten,
    zumindest den Indianer zu verachten.
    Die Rothaut? Die veracht' ich nicht,
    die ist kein Mensch wie wir,
    die steckt sich Federn an den Kopf,
    treibt's schlimmer als ein Tier.
    Na schön. Doch wie hältst du es mit dem Weißen?
    Willst du auf ihn und seinesgleichen scheißen?
    Den Weißen? Auf den scheiß' ich nicht,
    er ist das Licht der Welt,
    das die Kultur des Erdenballs
    mit warmem Strahl erhellt!
    Mein Sohn, ach mein Sohn!
    Mein Vater, was ist?
    Mein Sohn, ach mein Sohn,
    du wirst nie ein Rassist!
    Mein Vater, mein Vater,
    warum werd' ich keiner?
    Ach Heiner, mein Kleiner,
    du bist ja schon einer!
    Ehrlich? Wie herrlich!

Vier Gedichte aus ich ich ich
    1982
    Du
    Ich fand mich, grad in unsres Lebens Mitte,
    in München Süd, den Wagen aufzutanken,
    da ich von Frankfurt fortgewandt die Schritte,
    Als mich ein Tankwart, dem dafür zu danken,
    ich heut' noch Grund hab', ernst danach befragte,
    ob's Öl zu wechseln sei. Nach kurzem Schwanken
    Bejahte ich, worauf der Meister sagte,
    das brauche etwa eine Viertelstunde,
    ich könnt' solange tun, was mir behagte.
    So schaute ich gelangweilt in die Runde,
    da sah ich plötzlich groß am Junihimmel
    ein weißes Pferd vor dunkelblauem Grunde -
    So ausdrucksvoll, so feurig sprang der Schimmel,
    daß es mir schien, als stieg ein Lebewesen
    aus luft'ger Wolken quellendem Gewimmel.
    Ich staunte kurz und wollte schon zum Tresen
    des nahen Rasthaus' meine Schritte lenken,
    da fiel mir ein, ich hatte nichts zu lesen.
    Ich kehrte um, und ohne viel zu denken
    sah ich noch einmal hoch. Starr blieb ich stehen,
    unfähig, abermals den Blick zu senken,
    Denn auf dem Tier war nun ein Mensch zu sehen,
    ein Reiter, der mit hochgestrecktem Schwerte
    dabei schien, auf den Gegner loszugehen.
    Der war mir so vertraut. Und plötzlich kehrte
    Erinnerung zurück aus

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