Gesammelte Werke 1
finster drein und würdigten die Strafsoldaten keines Blickes. Der Regen nahm zu, die Stimmung verschlechterte sich. Sie gingen schweigend weiter, gefügig wie Vieh, und blickten immer seltener um sich.
»Hör mal, Zugführer«, murmelte Sef, »gibt man uns wirklich nichts zu fressen?«
Gai holte einen Brotkanten aus der Tasche und drückte ihn Sef in die Hand.
»Das ist alles«, sagte er. »Bis zum Grabe.«
Sef ließ das Brot in seinem Bart verschwinden, und sofort begannen seine Kiefer zu mahlen. Ein Wahnsinn ist das, dachte Maxim. Alle wissen, dass sie in den sicheren Tod gehen, und trotzdem gehen sie. Heißt das, sie hoffen noch auf etwas? Hat vielleicht jeder einen Plan? Aber nein, sie wissen ja nichts von der Strahlung … Jeder denkt, irgendwo da vorne biege ich ab, springe aus dem Panzer und werfe mich auf die Erde, sollen doch die anderen Idioten vorstürmen. Und was die Strahlung betrifft, so müsste man Flugblätter schreiben, es auf öffentlichen Plätzen hinausschreien, es über den Rundfunk verbreiten. Freilich laufen die Radios nur auf zwei Frequenzen - egal, dann nutzen wir eben die Sendepausen. Überhaupt sollte man die Leute nicht mehr gegen die Türme einsetzen, sondern für die Konterpropaganda. Aber das kommt alles noch, später … Jetzt darf ich mich nicht ablenken lassen, muss auf alles achten, die kleinste Spalte suchen. Am Bahnhof waren keine Panzer und keine Kanonen, sondern nur die
Schützen der Garde. Das habe ich zu bedenken. Der Talweg ist erfreulich tief, und die Bewachung zieht man bestimmt ab, sobald wir durch sind. Doch nein, die Wachen haben damit gar nichts zu tun - sobald die Emitter eingeschaltet sind, werden alle vorwärtsstürmen. Deutlich sah er das Bild vor sich, wie die Emitter sich in die Reihen bohrten und die Panzer der Strafsoldaten aufheulend voranstürzten. Ihnen nach strömten Scharen von Armisten … Sie werden den gesamten Frontstreifen bestrahlen, dachte er. Die Tiefe dieses Streifens lässt sich schwer bestimmen, der Wirkungsradius der Emitter ist ja nicht bekannt. Zwei, drei Kilometer dürften es sein. Auf einer Breite von zwei oder drei Kilometern bleibt also kein einziger Mensch mit klarem Kopf. Außer mir. Nein, es sind nicht nur zwei, drei Kilometer. Es sind mehr. Sämtliche stationären Anlagen, die Türme - alles werden sie einschalten, und das auf maximale Leistung. Der ganze Grenzbezirk verliert den Verstand. Massaraksch, was mache ich nur mit Sef, der hält das doch nicht aus. Maxim sah zu ihm hinüber; der Bart des weltberühmten Arztes bewegte sich gemächlich, er kaute noch immer den Brotkanten … Macht nichts, Sef wird es aushalten. Schlimmstenfalls muss ich ihm helfen, obwohl ich fürchte, dass dafür keine Zeit bleibt. Dazu noch Gai - ihn darf ich überhaupt nicht aus den Augen lassen. Ich muss mich anstrengen. Aber was soll’s. Letzten Endes werde ich in diesem trüben Chaos sowieso der Anführer sein, und niemand wird mich aufhalten können, es auch nicht wollen …
Sie ließen das Wäldchen hinter sich und hörten auf einmal ununterbrochenes Lautsprechergemurmel, das Knattern von Auspuffen und Gezeter. Auf einem nach Norden hin sanft ansteigenden, grasbewachsenen Hang standen drei Reihen Panzer. Zwischen ihnen patrouillierten Soldaten, ballten sich graublau die Abgaswolken.
»Da sind ja unsere Särge!«, rief jemand in den vorderen Reihen laut und fröhlich.
»Sieh dir an, was sie uns geben«, sagte Gai. »Vorkriegspanzer, Reichsplunder, Konservenbüchsen. Hör mal, Mak, müssen wir wirklich hier verrecken? Denn das ist der sichere Tod.«
»Wie weit ist es von hier bis zur Grenze?«, fragte Maxim. »Und was ist überhaupt hinter dem Hügel?«
»Eine Ebene«, antwortete Gai. »Flach wie ein Tisch. Etwa drei Kilometer entfernt liegt die Grenze, dahinter wieder Hügel, sie ziehen sich.«
»Kein Fluss?«
»Nein.«
»Schluchten?«
»N-nein, ich erinnere mich nicht. Weshalb?«
Maxim griff nach seiner Hand und drückte sie fest.
»Verlier nicht den Mut, Gai. Alles wird gut.«
Voll verzweifelter Hoffnung blickte ihn Gai an. Seine Augen waren eingesunken, die Jochbeine traten hervor. »Meinst du wirklich?«, flüsterte er. »Ich sehe allerdings keinen Ausweg. Die Waffe haben sie mir weggenommen, in den Panzern sind nur Übungsgranaten, und die Maschinengewehre fehlen. Vor uns liegt der Tod und hinter uns auch.«
»Aha«, bemerkte Sef hämisch und stocherte in seinen Zähnen. »Machst dir wohl in die Hosen? Das ist was anderes, als
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