Gesammelte Werke 1
über ein einheitliches Programm noch über eine einheitliche Führung, eine einheitliche Strategie oder Taktik verfügten.
»Ja, ein Salat«, wiederholte Maxim. »Traurig. Ich hatte gehofft, ihr würdet trotz allem den Krieg irgendwie nutzen - die Schwierigkeiten, die mögliche revolutionäre Situation.«
»Der Untergrund hat doch überhaupt keine Ahnung.« Sefs Gesicht wurde finster. »Woher soll der Untergrund denn wissen, was das bedeutet - Krieg mit Emittern im Nacken?«
»Keinen Heller seid ihr wert!« Maxim konnte sich nicht mehr beherrschen.
Jetzt brauste auch Sef auf. »He, du!«, schimpfte er. »Mal sachte, ja! Wer bist du denn, dass du unseren Wert bestimmen dürftest? Woher kommst du, Massaraksch, dass du dieses und jenes von uns forderst? Du willst einen Kampfauftrag? Bitte sehr: Alles sehen, überleben, zurückkehren, Bericht erstatten. Das erscheint dir zu einfach? Wunderbar. Umso besser für uns. Und jetzt Schluss damit. Ich will schlafen.«
Er drehte Maxim den Rücken zu und herrschte plötzlich die Würfelspieler an: »He, ihr Totengräber! Schlafenszeit! Los, auf die Pritschen!«
Maxim legte sich auf den Rücken, schob die Hände unter den Kopf und starrte an die niedrige Decke des Waggons; dort kroch irgendetwas. Leise und böse beschimpften sich die »Totengräber«,
die jetzt schlafen gingen. Der Nachbar zur Linken stöhnte und winselte im Schlaf. Er war todgeweiht und schlief wohl zum letzten Mal in seinem Leben. Auch alle anderen, die da schnarchten, schnauften und sich hin und her wälzten, verbrachten vermutlich ihre allerletzte Nacht. Die Welt war fahlgelb, stickig und hoffnungslos. Die Räder polterten, die Lokomotive heulte, Brandgeruch drang durch das kleine, vergitterte Fenster, und dahinter glitt ein trostloses Land ohne Hoffnung dahin, ein Land von Sklaven, Verdammten und von wandelnden Marionetten.
Alles hier ist morsch, dachte Maxim. Kein einziger lebendiger Mensch. Kein klarer Kopf. Wieder bin ich reingefallen, weil ich auf jemanden, auf irgendetwas gebaut habe. Hier darf man auf nichts hoffen. Auf keinen Menschen sich verlassen. Nur auf sich selbst. Doch was bin ich allein? Soweit ich die Geschichte kenne, kann einer allein absolut nichts erreichen. Vielleicht hat Hexenmeister Recht? Vielleicht sollte ich mich raushalten? Ruhig und ohne Gefühl, von der Höhe meines Wissens um die unausbleibliche Zukunft zusehen, wie es siedet, brodelt und zerschmilzt. Wie sich die naiven, linkischen, ungeschickten Kämpfer erheben, um kurz danach zu fallen. Beobachten, wie der Krieg sie zu Damaszener Klingen schmiedet und zur Härtung in Ströme blutigen Drecks taucht. Zusehen, wie es Leichen auf die Schmiedeschlacke hagelt? Nein, ich kann das nicht. Schon in solchen Kategorien zu denken, ist widerwärtig. Grauenhafte Sache - dieses festgefügte Gleichgewicht der Kräfte. Aber Hexenmeister hat auch gesagt, ich sei stark, eine Kraft in diesem Gleichgewicht. Und da es einen konkreten Feind gibt, findet diese Kraft jetzt ihren Angriffspunkt … Nein, die werden mich hier plattmachen, durchfuhr es ihn plötzlich. Bestimmt. Aber nicht morgen!, sagte er sich entschieden. Erst, wenn ich als Kraft in Erscheinung getreten bin, nicht vorher. Und auch das wollen wir erst mal sehen. Das Zentrum, dachte er, die Zentrale. Die
muss man suchen, darauf die Organisation lenken. Und ich werde es tun. Ich werde ihnen beibringen, sich mit den wichtigen Dingen zu befassen. Auch dir, mein Freund, bringe ich das bei. Wie er schnarcht. Schnarch nur, schnarch, morgen hole ich dich hier raus. Aber Schluss jetzt, ich muss schlafen. Wann werde ich endlich wieder wie ein Mensch schlafen? In einem schönen großen Zimmer, auf frischen Laken. Was ist das hier für eine Sitte, so häufig ein und dasselbe Laken zu benutzen? Ja, ein frisches Laken, und vor dem Einschlafen ein gutes Buch lesen, dann die Trennwand zum Garten aufschieben, das Licht löschen. Am Morgen mit Vater frühstücken und ihm von diesem Waggon erzählen. Mama darf davon natürlich nichts hören. Mama, denk dran, ich lebe. Alles in Ordnung, auch morgen wird mir nichts passieren. Und der Zug fährt und fährt, hat schon lange nicht gehalten. Offenbar ist jetzt doch irgendwem irgendwo klargeworden, dass ohne uns der Krieg nicht anfängt. Wie mag es wohl Gai gehen, in seinem Korporalswagen? Wahrscheinlich elend, dort sind ja alle ganz kriegsbegeistert. An Rada habe ich lange nicht gedacht. Ich werde jetzt an Rada denken. Nein. Jetzt ist nicht die Zeit
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