Gesammelte Werke 1
irgendwer irgendwo irgendetwas entschieden. Fischis Belehrungen vergessend, warf Maxim an Ort und Stelle den unförmigen Kittel ab und zog sich das neue Gewand an. Es war weder schön noch bequem, aber immerhin genauso wie das des Fremden. Man hätte sogar glauben können, dass dieser seine eigenen Wechselsachen geopfert hatte, denn die Ärmel der Jacke waren zu kurz, die Hose rutschte und hing hinten weit herunter. Den Anwesenden aber schien Maxims neuer Aufzug zu gefallen: Der Unbekannte nickte zufrieden mit dem Kopf; Fischi, deren Gesichtszüge sich in einem milden Lächeln entspannten - soweit das bei einem Karpfen möglich ist -, zupfte Maxims Jacke zurecht, und sogar Stehlampe, der sich hinter dem Pult verschanzt hatte, verzog den Mund zu einem Grinsen.
»Kommen Sie«, sagte der Fremde und ging zu der Tür, durch die Nilpferd soeben davongestürmt war.
»Auf Wiedersehen«, verabschiedete sich Maxim von Fischi. »Danke«, fügte er auf Russisch hinzu.
»Auf Wiedersehen«, erwiderte Fischi. »Maxim gut. Maxim groß. Muss sein.«
Sie war wohl gerührt. Vielleicht aber auch besorgt, weil der Anzug schlecht saß. Maxim winkte der bleichen Stehlampe zu und eilte dem Fremden hinterher.
Sie durchschritten mehrere Räume, in denen große, altertümliche Apparaturen standen und fuhren dann in einem
scheppernden Fahrstuhl hinunter ins Erdgeschoss. Dort fand sich Maxim in dem geräumigen, niedrigen Foyer wieder, in das ihn Gai vor einigen Tagen gebracht hatte. Wie damals mussten sie warten, bis diverse Papiere ausgefertigt waren: Ein ulkiger kleiner Mann mit lächerlichem Kopfputz kritzelte etwas auf rosa Formulare, der Unbekannte mit dem quadratischen Gesicht und den roten Augen kritzelte etwas auf grüne Formulare, und ein Mädchen mit Brille brachte violette Stempel auf den Formularen an; dann tauschte man Formulare und Stempel aus und kam dabei so durcheinander, dass man anfing, sich gegenseitig zu beschimpfen, und zum Telefon griff - bis schließlich der kleine Mann mit dem lächerlichen Hut zwei grüne und ein rosa Formular an sich nahm, Letzteres in zwei gleiche Teile riss, von denen er eins dem Mädchen gab, das die Formulare hatte. Der Fremde mit dem schuppigen Gesicht hingegen bekam zwei rosa Formulare ausgehändigt, eine dicke, dunkelblaue Karte sowie eine runde Prägemarke. Das reichte er eine Minute später einem groß gewachsenen Mann mit hellen Knöpfen an der Ausgangstüre, nur zwanzig Schritte von dem kleinen Mann mit dem albernen Hut entfernt. Sie durften passieren, doch als sie schon draußen waren, schrie ihnen der groß gewachsene Mann heiser etwas hinterher. Der rotäugige Fremde kehrte noch einmal zurück, und es stellte sich heraus, dass er vergessen hatte, das dunkelblaue Kärtchen einzustecken. Dann nahm er das dunkelblaue Kärtchen an sich und verstaute es mit einem tiefen Seufzer in seiner Innentasche. Nach dieser komplizierten Prozedur nahm Maxim, völlig verschwitzt, in einem unfassbar langen Automobil Platz, rechts neben dem Rotäugigen, der sehr verärgert war, schwer und heftig atmete und immer wieder Nilpferds Lieblingsspruch »Massaraksch!« wiederholte.
Das Auto rollte sanft an, schlängelte sich durch die blecherne Herde geparkter Wagen und fuhr über den großen
Asphaltplatz vor dem Gebäude, vorbei an einem riesigen Beet mit welken Blumen, dann ein Stück an der hohen gelben Mauer entlang, deren Oberseite mit Scherben übersät war, bog in die Auffahrt zur Hauptstraße ein und bremste dort scharf.
»Massaraksch!«, fauchte der Rotäugige und schaltete den Motor aus.
Auf der Straße wälzte sich eine endlose Kolonne vollkommen gleich aussehender Militärlaster vorwärts, deren Führerhäuser aus verbogenen Blechen zusammengenietet waren. Über ihren eisernen Aufbauten befanden sich merkwürdige rundliche Gebilde, die in festen Reihen angeordnet waren und metallisch glänzten. Die Lastwagen fuhren langsam und in gebührlichem Abstand, ihre Motoren tuckerten im Takt und verbreiteten bestialischen Gestank.
Maxim inspizierte die Beifahrertür, um herauszufinden, was wozu diente, und schloss das Seitenfenster. Ohne ihn dabei anzusehen, gab sein Nachbar einige Sätze von sich, von denen Maxim kein Wort verstand.
»Ich verstehe nicht«, sagte Maxim.
Der Rotäugige wandte sich verwundert zu ihm und stellte, der Intonation nach zu urteilen, eine Frage. Maxim schüttelte den Kopf.
»Ich verstehe nicht«, wiederholte er.
Der Rotäugige schien sich noch mehr zu wundern, griff in seine
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