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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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wäre; er hatte aber den Eindruck, daß auf diesen Gedanken ein noch weitaus gefährlicherer folgen wolle. Indessen schüttelte Agathe aber langsam und sehr entschlossen den Kopf; und mit der unwillkürlichen Sicherheit, mit der ein erregter Mensch vom andern zu dem verführt wird, was die bedenkliche Lage ganz zum Sturz bringt, fuhr sie fort: «Aber wir sprechen von meiner Scheidung! Und warum sagen Sie da heute nichts mehr von Gott? Warum sagen Sie nicht einfach zu mir: ‹Gott befiehlt, daß Sie bei Professor Hagauer bleiben!›? Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß er so etwas befehlen mag!»
    Lindner zuckte unwillig die hohen Schultern; ja, er schien mit ihrer auffahrenden Bewegung fürwahr selbst in die Höhe zu schweben. «Ich habe nie mit Ihnen davon gesprochen, das haben bloß Sie versucht!» verwahrte er sich schroff. «Und was das übrige betrifft, glauben Sie nur ja nicht, daß sich Gott um die kleinen selbstischen Händel unseres Gefühls kümmert! Dafür ist sein Gesetz da, das wir zu befolgen haben! Oder dünkt Sie das nicht heldisch genug, da doch der Mensch heute in allem das ‹Persönliche› will? Nun, dann setze ich Ihren Ansprüchen ein höheres Heldentum entgegen, das der heroischen Unterwerfung! »
    Jedes Wort davon besagte bedeutend mehr, als sich ein Laie erlauben sollte, wäre es selbst nur in Gedanken; Agathe hinwieder konnte zu so grobem Hohn bloß unaufhörlich lächeln, wollte sie nicht gezwungen sein, daß sie aufstehe und ihren Besuch abbreche, und sie tat es natürlich mit so sicherer Geschicklichkeit, daß sich Lindner immer wirrer gereizt fühlte. Er gewahrte seine Einfälle beunruhigend aufsteigen und immer mehr eine glühende Trunkenheit verstärken, die ihn der Besinnung beraubte und von dem Willen widerhallte, den störrischen Sinn zu brechen und vielleicht die Seele zu retten, der er sich gegenüber sah. «Unsere Pflicht ist schmerzhaft!» rief er aus. «Unsere Pflicht mag widerwärtig und ekelerregend sein! Glauben Sie nur ja nicht, daß ich der Anwalt Ihres Gatten sein will und von Natur auf seiner Seite stehe. Aber Sie müssen dem Gesetz gehorchen, weil es das einzige ist, was uns dauernd Friede gewährt und uns vor uns beschützt!»
    Agathe lachte ihn jetzt aus; sie hatte die Waffe erraten, die ihr die Wirkungen an die Hand gaben, die von ihrer Scheidung ausgingen, und sie drehte das Messer in der Wunde um. «Ich begreife von dem allen wenig» sagte sie. «Aber darf ich Ihnen aufrichtig einen Eindruck bekennen? Wenn Sie zornig sind, werden Sie ein wenig schlüpfrig!»
    «Ach, lassen Sie das!» verwies es Lindner. Er prallte zurück und hatte nur den einen Wunsch, so etwas um keinen Preis zuzulassen. Er hob abwehrend die Stimme und beschwor das vor ihm sitzende sündliche Phantom. «Der Geist darf sich nicht dem Fleisch unterwerfen und seinen Reizen und Schauern! Nicht einmal in der Form des Abscheus! Und ich sage Ihnen: Es mag die Beherrschung des fleischlichen Unwillens, welche die Schule der Ehe anscheinend von Ihnen verlangt hat, schmerzlich sein, so dürfen Sie ihr doch nicht entfliehn. Denn es lebt im Menschen ein Verlangen nach Befreiung, und wir dürfen so wenig die Knechte des Abscheus unseres Fleisches sein wie die seiner Wollust! Das ist es doch offenbar, was Sie hören wollen, denn sonst wären Sie nicht zu mir gekommen!» – schloß er, nicht minder großartig als hämisch. Er stand hochgereckt vor Agathe, die Bartfäden bewegten sich um seine Lippen. Noch nie hatte er solche Worte zu einer Frau gesprochen außer zu seiner verstorbenen eigenen, und da waren die Gefühle andere gewesen. Denn jetzt waren sie mit Wollust untermischt, als schwänge er eine Geißel in der Faust, den Erdball zu züchtigen, und zugleich waren sie ängstlich, als schwebte er gleich einem entführten Hut auf der Höhe des bußpredigerlichen Wirbelsturms, der ihn erfaßt hatte.
    «Da haben Sie soeben wieder merkwürdig gesprochen!» bemerkte Agathe leidenschaftslos und wollte seine Unverschämtheit jetzt mit einigen trockenen Worten abstellen; doch dann ermaß sie den ungeheuren Absturz, der ihm bevorstünde, und zog es vor, sich sanft zu demütigen, indem sie einhielt und mit einer Stimme, die scheinbar plötzlich von Reue verdunkelt worden war, fortfuhr: «Ich bin bloß deshalb gekommen, weil ich wollte, daß Sie mich führen.»
    Lindner, in ratlosem Eifer, schwang die Wortgeißel weiter; ihm ahnte, daß ihn Agathe mit Absicht in die Irre treibe, aber er fand nicht zurück und

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