Gesammelte Werke
Grund durchteilt wurde, als sie sagte: «Sie glauben an Gott, verraten Sie mir: auf weiche Weise gibt er Ihnen Antwort, wenn Sie ihn vor einer schweren Sünde um Rat und Entscheidung bitten?!»
Lindner wies diese Frage mit der ängstlich empörten Strenge zurück, die ein anständiger Schloßbediensteter zur Schau trägt, wenn er nach dem Eheleben der Allerhöchsten Herrschaften befragt wird.
Agathe: Gott in Verbindung mit Verbrechen, und zwar der Augustinische, der Abgrund. Etwa wirklich möglichst augustinisch: «Ich sehe keine Möglichkeit, aus eigener Kraft gut zu sein. Ich verstehe nicht, wann ich Gutes, wann Böses tue, nur seine Gnade kann mich emporreißen ...» Setzt wohl voraus, daß sie sich vor nicht langem darüber Sorgen gemacht hat. Bleibt vorderhand offen.
Lindner fühlte wohl etwas von der Leidenschaft ihrer Worte, darum seine Antwort sanft und beichtväterlich: «Ich kenne Ihr Leben nicht, Sie haben mir bloß einige Andeutungen gemacht. Aber ich halte es für möglich, daß Sie ähnlich handeln können, wie es ein schlechter Mensch täte. Sie haben nicht im Kleinen gelernt, das Leben ernst zu nehmen, und werden es vielleicht darum in großen Entscheidungen nicht treffen. Sie sind wohl imstande, aus gar keinem anderen Grund Böses zu tun und sich über alles Maß hinwegzusetzen, weil es Ihnen gleichgültig ist, wie dem anderen zumute ist, das aber nur, weil Sie zwar den Wunsch nach dem Guten fühlen, aber nicht wissen, wieviel Weisheit und Gehorsam dazu gehört.» Nun ergriff er ihre Hand und bat: «Sagen Sie mir die Wahrheit.»
«Die Wahrheit ist ungefähr das, was ich Ihnen bereits gesagt habe» wiederholte Agathe nüchtern und nachdenklich.
«Nein!»
«Ja.» In diesem schlichten Ja war etwas, das Lindner plötzlich die Hand zurückstoßen machte.
Agathe sagte: «Sie wollten mich doch besser machen? Bin ich also wie ein verbogenes Goldstück, das Sie zurückbiegen möchten, so bin ich doch ein Goldstück, oder –? Aber Sie verlieren den Mut. Die Ihnen durch meine Person überbrachte Forderung (Gottes?) kollidiert mit Ihrer konventionellen Einteilung der Handlungen in Licht und Finsternis. Und ich sage Ihnen: Gott mit einer menschlichen Moral zu identifizieren, ist Blasphemie!»
Die Stimme, mit der sie das ausrief, hatte, zumindest für Lindner, Posaunenklang, eigen Erregtes; auch er bekam Agathes wilde jugendliche Schönheit zu spüren und litt doch ohnehin schon, wenn er ihr Vorwürfe machte, jedesmal unter einer unsäglichen Angst und Einflüsterung. Denn seine Grundsätze, wo waren seine Grundsätze? Rings um ihn waren sie, aber weit fort. Und in den leeren Raum, dessen mittelste Leere nun seine Brust war, regte sich etwas, das verächtlich, aber so lebendig war wie ein Korb voll junger Hunde. Er wollte ja diese verstockte junge Frau wohl nur ins Herz treffen, um ihr einen Dienst zu erweisen, aber das Herz, auf das er zielte, sah wie ein Stückchen Blumenfleisch aus. Seit Lindner Witwer war, lebte er als Asket und vermied Prostituierte und leichtsinnige Frauen grundsätzlich, aber um es gerade heraus zu sagen, je mehr er sich um Agathes Rettung ereiferte, desto begründeter wurde seine Angst, sich eines Tags dabei in einem Zustand unerlaubter Erregung erleben zu müssen. Darum zählte er in den Augenblicken des Zornes wie der Liebe innerlich oft rasch bis SO. Aber der Erfolg war ein merkwürdiger, je mehr er dadurch seine Erregung von ihrem angemaßten Angriffspunkt vertrieb, desto mehr Erregung sammelte sich in seinem ganzen Leib, und sein Leib schien mitunter innerlich zu leuchten. Und mit einer erschreckenden Deutlichkeit, für die man keine Worte finden kann, wurde er davon an jenes fürchterlich erhebende Erlebnis erinnert, das ihn in seiner Jünglingszeit ein für alle Mal vor der Macht des Gefühls gewarnt hatte. Lindner fühlte sich von bitterer Verachtung für sich gestraft, wenn er bedenken sollte, daß das, was sich damals mit teuflischer Tücke in die Erscheinung Gottes gekleidet hatte, nun in reifen Jahren als gemeine Fleischeslust hervorkam, genau so, wie es die seichte Auffassung der Aufklärer behauptet.
«Gehen Sie doch nicht mit dieser Lüge von mir fort!» bat er.
«Das Testament?» sagte Agathe. «Es ist keine Lüge. Ich habe ein Testament gefälscht.»
Lindner packte sie im plötzlichen Zorn am Arm wie einen Schüler und rief: «Fort!»
«Nein» erwiderte Agathe. «Wir haben in unserem Kampf gegeneinander das geheime Übereinkommen, uns gegenseitig den Teufel
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