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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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redeten, blieb auch ihm unverständlich; aber wenn schon geredet werden mußte, dann so, wie es von Dr. Pfeiffer geschah: das war im ganzen unbezweifelbar als seine Meinung zu sehen. Der Zusammenstoß der beiden Ärzte hatte ihn aufgemuntert, er begann seine Stiche wieder laut und englisch zu zählen und streute in auffälliger Wiederholung von Zeit zu Zeit die Bemerkung: «Wenn es sein muß, muß es eben sein!» ins Gespräch oder ins Schweigen. Sogar der gute Pfarrer, der schon manches gesehen hatte, schüttelte zuweilen den Kopf. Aber der Spott auf die irdische Gerechtigkeit hatte ihm nicht übel gefallen, und er freute sich darüber, daß sich die Gelehrten der weltlichen Wissenschaft nicht einigen konnten. Er erinnerte sich nicht mehr, wie alle diese Fragen nach kanonischem Recht zu entscheiden gewesen wären, von denen die Rede war, aber er dachte sanft: «Laßt sie gewähren, das letzte Wort spricht Gott», und da er sich dieser Überzeugung wegen wenig an dem Wortgefecht beteiligte, gewann er im Tarock.
    So bestand zwischen diesen vier Männern ein recht herzliches Einvernehmen. Wohl war Moosbruggers Kopf dabei als Preis ausgesetzt, aber das stört nicht im geringsten, solange jeder vollauf mit dem beschäftigt ist, was er vorher zu tun hat; denken doch auch die Männer, die mit dem Schmieden, Schleifen und Verkaufen von Messern beschäftigt sind, nicht unausgesetzt an das, was daraus werden kann. Überdies fand Moosbrugger, als der einzige, der die Tötung eines anderen Menschen selbst und unmittelbar kennengelernt hatte und dem sie auch bevorstand, daß sie nicht das Schlimmste sei, was einem Ehrenmann widerfahren könne. Das Leben ist der Güter höchstes nicht, sagt Schiller: das hatte Moosbrugger von Dr. Pfeiffer gehört, und es hatte ihm recht gut gefallen; und so, wie er, je nachdem sein Wesen angerufen und gewendet wurde, rührend und eine Bestie sein konnte, waren eben auch die anderen als Freunde und Henker in zwei verschiedene Wirkungskreise gespannt, die miteinander kaum eine Berührung hatten. Aber Clarisse beunruhigte das sehr. Im ersten Augenblick hatte sie schon gesehen, daß hier unter dem Schutz der Fröhlichkeit etwas Verheimlichtes vor sich gehe; aber sie hatte das nur in unklarem Bild erfaßt und, verwirrt von dem Inhalt der Reden, begriff sie erst jetzt, aber begriff jetzt nicht nur, sondern sah es auch mit warnender Eindringlichkeit, ja in seiner vollen Unheimlichkeit beständig vor sich, daß diese Männer Moosbrugger verstohlen beobachteten. Moosbrugger, der Ahnungslose, aber beobachtete sie, Clarisse. Von Zeit zu Zeit kam er heimlich mit seinen Augen daher und trachtete ihren Blick zu überraschen und zu fangen. Der Besuch dieser schönen und weitgereisten Frau – ein wenig zu unbedeutend kamen ihm bloß die Magerkeit und Kleinheit Clarissens vor – schmeichelte ihm sehr trotz aller Ehrungen, die ihm ohnehin widerfuhren. Er bezweifelte, wenn er ihren merkwürdigen Blick auf sich gerichtet fand, nicht einen Augenblick, daß seine buschbärtige Männlichkeit sie verliebt gemacht habe, und zuweilen entstand ein Lächeln unter seinem Schnurrbart, das diesen Sieg bestätigen sollte und mit seiner an Dienstmädchen erprobten Überlegenheit auf Clarisse ganz eigentümlich wirkte. Eine unaussprechliche Ohnmacht preßte ihr Herz zusammen. Sie hatte den Eindruck, Moosbrugger befinde sich in einer Falle, und ihr Fleisch am Leibe kam ihr wie ein ihm vorgeworfener Köder vor, während umher die Jäger lauerten.
    Kurz entschlossen legte sie die Hand auf Friedenthals Arm und erklärte ihm, daß sie genug gesehen habe und sich ermüdet fühle.
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93
    Clarisse und Friedenthal
    «Was haben Sie denn eigentlich damit gemeint, daß Sie sagten, er habe stets nur ‹Ersatzweiber› gehabt!» fragte Friedenthal, nachdem sie das Zimmer verlassen hatten.
    «Nichts!» erwiderte Clarisse, die von dem Erlebten noch verstört war, mit einer abweisenden Gebärde.
    Friedenthal wurde schwermütig und meinte, daß er die verwunderliche Darbietung rechtfertigen müsse. «Im Grunde sind wir natürlich alle unzurechnungsfähig» seufzte er. Clarisse antwortete: «Er am wenigsten!»
    Friedenthal lächelte über den «Scherz». «Haben Sie sich sehr gewundert?» fuhr er scheinbar erstaunt fort. «Es sind immerhin einzelne Züge an Moosbrugger recht schön zutage getreten.»
    Clarisse blieb stehn. «Sie dürfen das nicht gewähren lassen!» forderte sie entschieden.
    Ihr Begleiter lachte und befleißigte sich, seinen

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