Gesammelte Werke
Bewußtseinsverlauf angehörigen Hilfshypothesen arbeiten; eben jenen Grundbegriffen, deren Bestätigung als transzendentale Gesetzmäßigkeiten die Aufgabe unserer Interpretation der Psychoanalyse ist.
Der fundamentale »psychologische Hilfsbegriff« nun, mit dem die Psychoanalyse operiert, ist eben der Begriff des Unbewußten. »Die erste dieser ... Behauptungen der Psychoanalyse besagt, daß die seelischen Vorgänge an und für sich unbewußt sind und die bewußten bloß einzelne Akte und Anteile des ganzen Seelenlebens.« (Vorl., 9) Es ist bereits hier zu beachten, daß Freud nicht von »unbewußten Erlebnissen«, also von unbewußten
unmittelbaren
Gegebenheiten redet, die es nach unseren Untersuchungen nicht gibt, sondern von unbewußten »Vorgängen«, wobei wir recht wohl daran erinnern dürfen, daß wir die unbewußten »Seelendinge« nicht etwa nach dem Muster naturalistischer Dingbegriffe als Konstanten, sondern als gesetzliche Zusammenhänge zwischen Phänomenen gefaßt und weiter die Möglichkeit der Veränderung dieser Seelendinge und damit gesetzmäßiger Beziehungen der Seelendinge untereinander als transzendental erkannt haben; so daß der Freudische Begriff des »Vorgangs«, wofern er nur nicht naturalistisch mißverstanden oder mit unserem »Bewußtsein im prägnanten Sinn« identifiziert wird, mit unserem transzendental begründeten Begriff des Unbewußten sehr wohl vereinbar bleibt. Weiter machen wir aufmerksam auf Freuds Rede von den »Vorgängen an und für sich«, womit nichts anderes gemeint sein kann als der Bestand des Unbewußten unabhängig von unserer Wahrnehmung, so wie wir von einem »immanenten Ding an sich« sprechen; denn den Gedanken an transzendentes Sein schließt ja Freud ebenso wie wir von der Bewußtseinsanalyse aus. Da wir aber das seelendingliche Sein eben als dasjenige definiert hatten, das unabhängig von unserer Wahrnehmung, also unseren derzeitigen Erlebnissen besteht (freilich allemal seinen letzten Erkenntnisausweis in unseren Erlebnissen findet), so ist mit Freuds Ausdruck »seelische Vorgänge an und für sich« bereits eben die Bestimmung des Unbewußten als eines stets nur mittelbar Gegebenen, von unseren Phänomenen Verschiedenen intendiert, die wir dem Begriff des Unbewußten gaben. Man tut gut daran, den Sinn der Freudschen Darlegungen sogleich so zu verstehen, wie sie als Aussagen über den
Immanenzzusammenhang
des Bewußtseins verstanden werden müssen, anstatt sie zu isolieren und naturalistisch zu hypostasieren; viele Mißverständnisse der psychoanalytischen Methode fallen damit von vornherein weg. Auch Freuds anschließende Polemik gegen die übliche Identifikation des Psychischen und des Bewußten ist entsprechend zu begreifen, nicht als Ausbruch eines unkritischen Irrationalismus. Soweit sich Freud gegen eine Identifikation des Psychischen mit der aktuellen cogitatio, dem unmittelbar Gegebenen wendet, die die Bedingungen des Zusammenhanges des Gegebenen vernachlässigt, besteht seine Kritik durchaus zu Recht. Wenn weiterhin von »unbewußtem Denken oder Wollen« die Rede ist, so wird man darunter nicht gegenwärtige Erlebnisse zu begreifen haben, sondern allein deren Zusammenhänge. Erst die Kenntnis der Freudischen Lehre von der psychischen Dynamik wird diese Termini ganz klären. Einstweilen gilt es, sie vor phänomenalistischen Mißdeutungen sicherzustellen ebenso wie den Begriff des Unbewußten selbst vor naturalistischen.
Die psychoanalytische Behauptung unbewußter psychischer Tatsachen nun ist identisch mit der Behauptung, daß alle Phänomene einen »Sinn« haben. Denn dieser Sinn ist die Zugehörigkeit der Phänomene zu den gesetzmäßigen Zusammenhängen, die die psychoanalytische Methode als unbewußt ansetzt, mit anderen Worten: der Sinn der Phänomene, zumindest der isoliert unverständlichen, darum der psychoanalytischen Bearbeitung aufgegebenen Phänomene ist unbewußt. Um von diesem Verhältnis klar Rechenschaft zu geben, scheint es uns angebracht, die Hauptzüge der Freudischen Theorie der
Fehlleistungen
wiederzugeben, die die Beziehung der Phänomene auf das Unbewußte am einfachsten darstellt und den Verhältnissen des wachen Bewußtseinslebens am nächsten steht, also für unsere Zwecke am brauchbarsten ist; freilich zur Erkenntnis der
Dynamik
des Psychischen nur in geringem Umfang herangezogen werden kann. Fehlleistungen nennt Freud eine weit ausgedehnte und recht komplex zusammengesetzte Gruppe von Phänomenen, deren
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