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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Behauptung jener Zufälligkeit zureichend zu widerlegen, sie müßte uns darum schon willkommen sein, auch ohne daß wir uns auf ihre sämtlichen Aussagen festlegten und sie toto genere akzeptierten. Die Übereinstimmung ihres methodischen Ganges mit unseren transzendentalen Bestimmungen berechtigt uns allerdings zu der Meinung, daß die Erkenntnisgewalt der Psychoanalyse weiter reiche als nur zur Erkenntnis einzelner, sonst dunkler Tatbestände des Psychischen. Daß die allseitige Gesetzmäßigkeit des Psychischen, die wir in Übereinstimmung mit der Psychoanalyse annehmen, keineswegs gleichbedeutend ist mit einem Determinismus, der die freie Willenshandlung als unmöglich betrachtet, wird sich uns weiterhin zeigen.
    Zunächst haben wir zu fragen, in welcher Weise die Psychoanalyse das Zustandekommen der Fehlleistungen – die uns hier exemplarisch für alle Phänomene stehen, die zu begreifen wir zum Rekurs auf das Unbewußte genötigt sind –
allgemein
begründet. Denn der »Sinn« einer Fehlleistung im psychoanalytisch klargelegten Verstande des Wortes ist ja durchaus nur
individualgesetzlicher
Art; über die Gesetzmäßigkeiten, die die Konstitution des
Gattungsbegriffs
etwa der Fehlleistung ausmachen, besagt er gar nichts. Die Psychoanalyse antwortet uns mit einer
Theorie;
ähnlich, wie uns die Astronomie auf die Frage nach der Ursache der Bewegungen der Himmelskörper mit Theorien antwortet, denen teilweise hypothetische Gültigkeit zukommt, während über die Beschaffenheit der einzelnen Himmelskörper in weitem Umfange sehr wohl mit den Mitteln der Astronomie und Astrophysik Definitives ausgemacht werden kann; womit übrigens keineswegs die Dignität beider theoretischen Sachgebiete und ihrer Erkenntnisse verglichen, sondern allein auf Übereinstimmungen der erkenntnistheoretischen Struktur hingewiesen sein soll. Denn gerade der theoretische Charakter der Erklärungen, die die Psychoanalyse für den Zusammenhang der unbewußten Tatsachen aufstellt, gibt Anlaß zu den meisten Angriffen, die gegen die Psychoanalyse von philosophischer Seite erhoben werden. Hier wirft man ihr stets und zu Unrecht Dogmatik vor; meist nur, um gegen ihre oftmals den bestehenden Denkgewohnheiten recht sehr zuwiderlaufenden Theorien eigene, vertrautere Dogmen, charakterologische zumeist, die aus dem Persönlichkeitsbegriff des nachkantischen Idealismus abgeleitet sind, zu sichern; nicht umsonst hat Freud in tiefer Ironie Suleikas bis zum Überdruß zitierte Strophen von der Persönlichkeit als höchstem Glück der Erdenkinder selbst psychoanalytisch aufgelöst, als »narzißtisch«, als introvertiert bezeichnet und ihnen als positives Gegenbild Hatem-Goethes Antwort an Suleika kontrastiert. – Es ist ferner bei der Einschätzung der psychoanalytischen Theorienbildung zu berücksichtigen, daß die Unterscheidung der Individualgesetze und der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten im psychischen Bereich keineswegs mit der gleichen Leichtigkeit und Schärfe sich vollzieht wie etwa in der naiven Erfahrung der Raumwirklichkeit. Schon die wissenschaftliche, erstmals von Mach vollzogene Darstellung der physischen Dinge, der Körper, als
funktionaler
Zusammenhänge relativiert bereits für die Körperwelt den Unterschied zwischen Ding und Gesetz, der als reine Disjunktion durchaus dem
vorwissenschaftlichen
Denken angehört; und es wäre eine erkenntnistheoretisch überaus fesselnde Aufgabe, nachzuweisen, wie weit sich jener Unterschied durch die Ergebnisse der modernen Atom- und Elektronentheorie weiter relativierte. Da nun die Begriffsbildungen, die unsere psychische Dingwelt bestimmen, durchwegs dem vorwissenschaftlichen Bemühen noch fremd sind, jedenfalls das naive vorwissenschaftliche Denken keineswegs mit der gleichen Sicherheit über Seelendinge verfügt, mit der es über die räumlichen Dinge zu verfügen meint, so hat es die Wissenschaft mit einem weit weniger vorgeformten – wenn man will, auch einem weit weniger verfälschten – Material zu tun als bei der Erfassung der Körperwelt und darf darum nicht erstaunt sein, Individualgesetz und allgemeines Gesetz nicht eben so bündig getrennt vorzufinden wie in der physischen Welt, wo sie jene Scheidung, soweit sie ontologisch, nicht rein durch die Begriffsbildung bedingt ist, erst
auflösen
muß. Die einwandfreie begrifflich exakte Sonderung beider Zusammenhangsweisen zählt freilich auch im psychischen Bereich zu den Aufgaben wissenschaftlicher Systematik, kann aber nicht da

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