Gesammelte Werke
noematischen Korrelats, das es als Seins›materie‹ fordert, gelegen ist« 240 – diesen Satz können wir nicht akzeptieren. Sein Widersinn kommt zum Vorschein in der Konsequenz, daß die »Idee« des Dinges adäquat gegeben sein soll im Gegensatz zum Ding selbst. Denn was sollte diese »Idee« anders sein als das Ding, die Regel für die Erscheinungen? Diese Regel aber ist nie vollständig bekannt.
Einerseits also halten wir fest: nicht die Idee des Dinges schreibt Mannigfaltigkeiten von Erscheinungen Regeln vor, sondern das Ding selbst ist die ideale Regel für den Zusammenhang der Erscheinungen. Als solches aber ist es »nicht, wie der Kant'sche Begriff der ›Regel der Erscheinungen‹, nur ein X, sondern ein sehr bestimmt nach seinen verschiedenen Merkmalen zu erkennender Gegenstand« 241 . Keine unendlich aufgegebene Transzendenz steht uns hinter den Erscheinungen; ihre Regel konstituiert sich einzig nach den Gesetzen des Zusammenhangs unseres Bewußtseins.
Andererseits aber sind uns diese immanenten Gesetze niemals vollkommen bekannt, und schon der Begriff ihres »adäquaten Gegebenseins« bedeutet ein »Ausschweifen in intelligible Welten«. Denn da der Begriff eines vollendet gegebenen Unendlichen notwendig widerspruchsvoll ist, muß auch jeder aus ihm abgeleitete Begriff widerspruchsvoll sein; und die Idee der adäquaten Gegebenheit des Dinges ist aus ihm abgeleitet. Ihr Widerspruch liegt darin, daß das immanente Ding an sich, um vollkommen bekannt sein zu können, dem Bewußtsein transzendent sein müßte. Umgekehrt macht es nur die Voraussetzung eines transzendenten Dinges möglich, die Idee des vollendet gegebenen Dinges zu konzipieren. Dies Verhältnis wollten unsere letzten Untersuchungen beleuchten.
C. Zusammenfassende Schlußbetrachtung
In bündigen Sätzen ist das Ergebnis unserer Untersuchung zusammenzufassen.
Unser
Problem
war, den Widerspruch zwischen den transzendental-idealistischen und den transzendent-realistischen Komponenten in Husserls Dingtheorie aufzuklären und zu berichtigen. Dieser Widerspruch liegt begründet bereits im Ansatz von Husserls Erkenntnistheorie: indem er Eindrucksbestandteile als Bewußtsein
von
etwas bezeichnet, setzt er das Sein von Dingen voraus,
von
denen sie Bewußtsein sein sollen. Die Supposition dinglicher Transzendenz prägt sich darin aus, daß Husserl »immanente« und »transzendente« Wahrnehmung als äquivalente Rechtsquellen der Erkenntnis begreift, anstatt zu sehen, daß transzendente Wahrnehmung im Sinne seiner Definition in immanenter fundiert sein muß. Jedes Bewußtsein von Dinglichem ist notwendig Wissen von früheren Erlebnissen. Indem Husserl dem »reellen Bestand der Wahrnehmung« ihr »transzendentes Objekt« gegenüberstellt, vergißt er, daß »das Objekt der Wahrnehmung«, dinglich verstanden, nichts anderes ist als die immanente Regel für den Ablauf der Erscheinungen. Zum Ansatz dinglicher Transzendenz nötigt Husserl eine
»Mosaikpsychologie«,
der der Begriff der »Gestaltqualitäten« fremd ist. Ohne den Begriff der Gestaltqualitäten aber wird die Bildung eines gesetzmäßigen Erwartungszusammenhanges zum unbegreiflichem Wunder – es sei denn, daß man eben dingliche Transzendenzen supponiert.
Husserls Scheidung von Sein als Bewußtsein und Sein als Realität ist die wichtigste Konsequenz jenes Ansatzes einer bewußtseinsunabhängigen Dingwelt. Ihr entgegen ist festzuhalten: Wohl sind Dinge nie Erlebnisse, aber Regeln
für
Erlebnisse, nicht Ursachen
von
Erlebnissen, und darum dem Bewußtsein streng immanent. Auch von der Zweifelhaftigkeit der transzendenten, Zweifellosigkeit der immanenten Wahrnehmung ist nicht zu reden. Soweit gesetzmäßige Zusammenhänge von Erscheinungen durch unsere Erfahrung bestätigt werden, sind wir ihrer zweifelsfrei gewiß; daß wir die Erscheinungen überhaupt nach ihrem gesetzmäßigen Zusammenhang begreifen, ergibt sich notwendig aus den transzendentalen Bedingungen unseres Bewußtseins. Darum auch darf die Welt nicht »zufällig« genannt werden.
Die Unterscheidung von Sein als Bewußtsein und Sein als Realität wird zur kardinalen Unterscheidung der Husserlschen Erkenntnistheorie in dem Gegensatz von Noesis und Noema. Der Begriff des Noema ist mit verhängnisvollen Äquivokationen behaftet: bald bezeichnet er
alle
mittelbaren Gegebenheiten, bald nur die dinglichen. Das Dingnoema offenbart sich der Kritik als Zwitter von immanentem und naturalistischem Ding an sich. Soweit das Dingnoema
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