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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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»Matinata«, die nach der sicherlich zutreffenden Bemerkung von Johannes Jacobi in der Zigeuneroper von Leoncavallo anklingen soll, stammt, wenn meine Erinnerung mich nicht gänzlich täuscht, nicht etwa von dem an jenen verhängnisvoll geschmiedeten Mascagni sondern von Leoncavallo selbst. Ich besitze eine ganz alte Grammophonaufnahme von Caruso, der die Matinata, heute noch ein berühmtes Stück Caféhausmusik, singt, von Leoncavallo auf dem Klavier begleitet. Im übrigen ändert das wenig an der unseligen Situation von Künstlern, die einmal im Leben einen großen Erfolg hatten und besessen vom Wunsch, ihn zu verdoppeln, dabei auf das Bewährte zurückgreifen. Hat, wie es unter diesem Gesichtspunkt sehr wahrscheinlich ist, Leoncavallo ein Plagiat begangen, so eines nicht am Konkurrenten, sondern am eigenen Lied, der einzigen Komposition aus seiner Hand, die außer dem Bajazzo populär geworden ist. Der Wiederholungszwang und die spätere Sterilität der veristischen Komponisten verdiente einmal genauere Untersuchung.
     
     
    DISKUS, September/Oktober 1967
     
    Der Aufsatz
Tiere an Ketten
von Fräulein Monika Steffen schreibt mir zu, ich hätte mich darauf berufen, ein prominenter Politiker habe doch gesagt, man müsse die Innen- von der Außenpolitik ableiten. Es handelt sich fraglos um einen Hörfehler: ich hatte auf das Umgekehrte verwiesen, auf die Notwendigkeit einer Ableitung von Außenpolitik aus der Innenpolitik. Und dies Theorem stammt keineswegs von einem »prominenten Politiker« der Gegenwart. Mit dieser Berichtigung entfallen selbstverständlich auch die Folgerungen, die Fräulein Steffen ableitet: daß ich nämlich durch jene These von Horkheimer mich inhaltlich distanziert hätte. Er wird ihr ohne Frage gänzlich zustimmen.
     

Verworfene Schriften
     
Zur Krisis der Musikkritik
    Alle gegenwärtige Musikkritik, die deutschsprachige wie die ausländische, stellt heute nach Wahrheitsgehalt und Funktion in einer Krise sich dar, die es um so ernster zu erkennen gilt, je gründlicher sie sich dem Schlagwort, der billigen Verteilung von Schuld und Unschuld, dem bequemen Rezept zur Abhilfe entzieht. Vom Begriff der ›Vertrauenskrise‹, der eine Zeitlang in Mode war, wird sie keinesfalls gedeckt. Das öffentliche Vertrauen in die Kritik ist unerschüttert, vielleicht sogar durch die neuen Herrschaftsformen der öffentlichen Meinung noch verstärkt; heute wie nur stets greifen am Morgen ungezählte Zeitungsleser zu ihrem Blatt, um danach ihre eigene Meinung über das am Abend Gehörte zu regulieren. Vollends kann nicht von einer moralischen Krise‹ im privaten Sinne die Rede sein. Die persönliche Integrität der Kritikerschaft duldet kaum Zweifel. Vielmehr handelt es sich prinzipiell um das Verhältnis zum kritischen
Gegenstand.
In Frage gerückt ist nicht weniger als die Zuständigkeit der Kritik, über Reproduktionen und Werke zu urteilen. Nimmt man die Abhängigkeit der gesamten reproduktiven Praxis von den Werken, den neuen nicht anders als dem geschichtlichen Stande der alten, für offenbar, so drängen sich die Fragen der Legitimierung zusammen in der
Kompositionskritik
als dem zentralen Schauplatz musikalischen Urteils. Es kann darum nicht Wunder nehmen, wenn sie ihre Schärfe gewinnen zwischen Kritiker und Komponisten. Dabei geht es nicht um die althergebrachte Empfindlichkeit eitler Autoren. Sondern der Komponist fühlt sich, gleichgültig ob er es mit guten oder schlechten Kritiken zu tun hat,
verfehlt:
nicht das Urteil als solches verletzt ihn, sondern die Maßstäbe sind inhomogen: es wird von ihm in der Regel kritisch völlig anderes erwartet, als er, gerade bei äußerster Strenge der eigenen Anforderungen, von sich verlangen kann. Die Kritik ist ihm meist bloß noch zufällig fördernder oder schädigender Eingriff in die Bahn seines Erfolges. Wie Kritiker und Autor aber sind Kritik und Werk einander
entfremdet.
Die Grundtatsache der Entfremdung zwischen den Lebenden und ihrer Musik, Moment der allgemeinen gesellschaftlichen Entfremdung, wendet sich in der Krisis der Musikkritik paradox: der als idealer Repräsentant der Hörer und Anwalt gleichsam des Werkes gegen dessen eigenen Komponisten, dem Werk, nein, den im Werke liegenden
Forderungen
am nächsten stehen sollte, versteht vielfach das Werk nicht mehr, bringt unverbindliche Normen von außen heran und wird zum positiven oder negativen Propagator degradiert, wo er als Organ geschichtlichen Vollzuges sich zu bewähren hätte. Dabei

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