Gesammelte Werke
Unbewußten sich findet, der irgend mit der Kantischen Lehre vereinbar wäre – wie etwa in manchen Stücken der Wahrnehmungstheorie von Helmholtz –, kann zumindest keine Rede davon sein, daß der Begriff des Unbewußten als philosophisch zentraler Begriff gehandhabt würde. Einen weiteren Grund, unsere Diskussion der Lehren vom Unbewußten am Widerspruch gegen Kants Bewußtseinsphilosophie zu orientieren, sehen wir in der Struktur der bezeichneten Kantischen Probleme selbst. Denn diese Probleme sind nicht zufällig nebeneinander aufgereiht, sondern stehen in Beziehung untereinander; einer Beziehung, die auf den eigentlichen Grund nicht nur des Gegensatzes aller Philosophien des Unbewußten gegen die Totalität des übrigen Kantischen Systems, sondern auf den sachlichen Ausgang aller Lehren vom Unbewußten selbst hindeutet. Die drei Kantischen Probleme, von denen die Rede war und deren Auflösung im Sinne einer Lehre vom Unbewußten wir verfolgten, das Problem des Dinges an sich, der Spontaneität und der Teleologie, lassen sich unter einem höheren Gesichtspunkt vereinigen. Es sind die Probleme der
Grenzbegriffe,
und zwar genauer gesagt: derjenigen Grenzbegriffe, die nicht in der Antinomienlehre Kants ihre endgültige Einordnung in das System des transzendentalen Idealismus gefunden haben oder, soweit an das Problem des Dinges an sich gedacht wird, deren Behandlung in der Antinomienlehre nicht ihre vollständige Konsequenz im Aufbau des Systems findet. Mit den drei Begriffen ist die prinzipielle
Unabgeschlossenheit unserer Erfahrung
ausgesagt.
Teleologiebegriff und Ding an sich-Begriff sind nur verschiedene, allerdings verhängnisvoll verschiedene Redeweisen für die gleiche Tatsache, daß uns »die Dinge immer insofern unbekannt bleiben« (Cornelius), als jederzeit die Möglichkeit des Eintretens neuer Phänomene besteht, das uns nötigt, unseren Begriff von dem betreffenden Ding zu modifizieren. Diese Tatsache wird in den Begriffen des Dinges an sich und der Teleologie zweimal verschieden, zweimal auch problematisch interpretiert; mit der Lehre vom Ding an sich so, daß die Dinge, ihrer »teilweisen Unbekanntheit« wegen, dem Zusammenhang des Bewußtseins ganz enthoben werden, das sie doch konstituieren sollte: daß also ihre Transzendenz schlechthin behauptet wird; mit der Lehre von der Teleologie, indem die positive Gegebenheit sämtlicher Merkmale, die nicht vollendet gedacht werden kann, doch eben, wenn auch nur als regulatives Prinzip, vorausgesetzt wird. Denn wir müßten ja in der Tat die Kenntnis des »Ganzen« besitzen, um die Bestimmtheit eines jeden Einzelnen durch das Ganze erkennen zu können, wenn nicht eben die Kenntnis des Ganzen, mit der der Teleologiebegriff operiert, eine Gestaltrelation innerhalb des unmittelbar Gegebenen ist, die uns eine gesetzmäßige Bestimmung der Teile ermöglicht, ohne daß wir das Erfahrungsbereich transzendierten; deren Gesetzmäßigkeiten aber auch bloß im Rahmen der Erfahrung reale Gültigkeit haben, für das erkennende Bewußtsein stets Aufgabe bleiben. Dem Begriff der Spontaneität, der weit entschiedener noch als der des Dinges an sich und der der Teleologie von Kant positiv ontologisch gewandt ist, liegt der Grenzbegriff unserer dauernd unabgeschlossenen, wechselnden Erfahrung, unseres Bewußtseinsverlaufs in der subjektiven Zeit zugrunde, der sich in stetem Fluß befindet. Es ist bei der Kantischen Wendung dieses Fließens in einen Begriff der Tätigkeit daran zu denken, daß für die Konstruktion des tatsächlichen Kantischen Systems der »Primat der praktischen über die theoretische Vernunft« wirksam ist, daß der Begriff der
Freiheit
als Kernstück der Kantischen Sittenlehre für die Vernunftkritik bereits vorausgesetzt wird und daß für Kant Freiheit nichts anderes besagt als die Fähigkeit des Subjekts zum Handeln. Da aber von Kant diese Fähigkeit als eine erfahrungsunabhängige behauptet wird und er, anstatt sie aus einer Analyse des Bewußtseinszusammenhanges abzuleiten, sie bereits voraussetzt, so muß er ihr Prinzip als ein erfahrungsunabhängiges verstehen, es zur Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung machen. Zugleich bedeutet ihm aber Erfahrungsunabhängigkeit den Zusammenhang zwischen der Begründung der theoretischen und der praktischen Philosophie. So führt er denn den konstitutiven Begriff seiner praktischen Philosophie, der zuvor der Rechtfertigung durch die transzendentale Analyse bedürfte, als Setzung in die Erkenntnislehre ein
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