Gesammelte Werke
Kantischen Sinne vorliegt und wo nicht, und halfen damit das Verständnis der späteren Disjunktionen innerhalb der Theorie des Unbewußten so weit vorzubereiten, wie solche Disjunktionen bereits für eine Kritik der philosophischen Lehren vom Unbewußten geboten sind. Die später erst verifizierbare Tatsache, daß es überhaupt unbewußte Tatbestände gibt, bleibt dabei vorausgesetzt, denn wir haben ja nicht mehr die Widersprüche in den Lehren vom Unbewußten zu kritisieren, sondern von ihrem Ansatz an zu verfolgen, und ihr Ansatz ist nicht allein die Polemik wider die Bewußtseinsphilosophie, sondern ebensosehr auch die Tatsache des Unbewußten selber. Es versteht sich, daß unsere kritischen Befunde als solche auch gültig blieben, wenn es keinerlei unbewußte Tatsachen gäbe.
Die Tatsache der prinzipiellen Unabgeschlossenheit unserer Erfahrung, die, wenn irgend die absolute Vollständigkeit der Erfahrung angenommen wird, zu Widersprüchen führt und zu der Auffassung von einer schlechthin unauflöslichen Transzendenz des Unbewußten, erzeugt nicht allein Widersprüche hinsichtlich der unbewußten Tatbestände selber, sondern auch hinsichtlich ihrer
Konstitution.
Es besteht nämlich die Möglichkeit, zwar die einzelnen unbewußten Tatbestände als bewußtseinsimmanent zu bezeichnen und darauf zu verzichten, den Grenzbegriff schlechthin transzendenter unbewußter Tatbestände, den Begriff einer »psychischen Irrationalität« positiv zu bilden, dafür aber die Unabgeschlossenheit der Erfahrung in der Weise als ein positiv gegebenes Unendliches zu hypostasieren, daß nicht zwar die Transzendenz irgendwelcher Gegenstände des Erfahrungsfortganges, die jenem verborgen sein sollten, wohl aber die Transzendenz jenes Erfahrungsfortganges selber behauptet wird. Nicht also sollen, um der Grenzenlosigkeit im Fortgang unserer Erfahrung willen, irgendwelche psychischen Tatsachen erfahrungsjenseitige »Dinge an sich« sein, sondern der Erfahrungsfortgang selber wird, weil ihm keine Grenze gesetzt ist, als transzendente Tatsache betrachtet und interpretiert. Zu einer solchen Deutung wird allerdings vorausgesetzt, was eben niemals vorausgesetzt werden dürfte, nämlich die positive Gegebenheit des Unendlichen, denn von keiner einzelnen Erfahrungstatsache kann ja jemals ausgesagt werden, sie liege jenseits der Erfahrung – auch von keinem einzelnen innerhalb des Erfahrungsbereichs gültigen Zusammenhang, sondern nur von der Erfahrung als solcher, die ja prinzipiell nicht abgeschlossen ist. Über sie irgendwelche Aussagen zu machen – und die Aussage ihrer Transzendenz ist bereits eine positive Aussage, die aus jener Aussage abgeleiteten Thesen gar sind höchst bestimmte materiale Behauptungen – ist aber verwehrt. Bereits die Behauptung eines
unendlichen
Fortganges unserer Erfahrung ist in strengem Sinne unerlaubt, wir wissen nur, daß die Erfahrung über jede positiv angebbare Grenze hinaus fortsetzbar ist 9 . Das würde aber für die Aussage der Transzendenz der Erfahrung keineswegs genügen, ihr muß ja die Erfahrung ein positiv Unendliches sein, um ihrem eigenen Umfang gegenüber als transzendent behauptet werden zu können. Darunter läßt sich nun zwar wenig Sinnvolles vorstellen, aber die Philosophien des Unbewußten beeilen sich, jene positive Unendlichkeit alsogleich als Spontaneität des Bewußtseins oder als »Leben« in Anspruch zu nehmen, wobei die oben charakterisierte Verdinglichung der transzendentalen Faktoren das Ihre dazu beiträgt, die Annahme eines positiv gegebenen Unendlichen durch die ebenso widersinnige einer bewußtseinstranszendent wirkenden psychischen Kausalität naturalistisch zu ergänzen. Es wird hier erst völlig deutlich der Sinn unserer Aussage, daß Kants Spontaneitätsbegriff rechtmäßig der Kritik der Antinomienlehre unterstehe. Das antinomische Verhältnis besteht, auf eine bündige Formel gebracht, darin: daß Leben oder Spontaneität der transzendente, als solcher unbewußte Grund der Phänomene sein soll, während die Begriffe des Lebens und der Spontaneität, soweit ihnen überhaupt ein vernünftiger Sinn zukommt (was wir für den Begriff der Spontaneität zum mindesten bestreiten), einen solchen Sinn allein auf Grund der Tatsachen unseres Bewußtseinszusammenhanges erhalten. Wenn im übrigen Transzendenz nicht allein der Gegenstände der Erfahrung, sondern auch der Erfahrung selbst von den Philosophien des Unbewußten behauptet wird, so hat das seine guten Motive. Es ergibt sich
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