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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Substanzbegriff selber indessen faßt Kant allzu unbestimmt. Zwar daß die Bestimmung der Beharrlichkeit eines Gegenstandes der Erfahrung angehöre, trifft zu; aber Kant übersieht, daß ein solches Erfahrungsurteil, wenn es die Möglichkeit von Erfahrung überhaupt ergibt, ein synthetisches Urteil a priori ist und daher sehr wohl unserer Erkenntnis »etwas Neues hinzufügt«; und daß es damit Ausgang einer positiven, transzendentalen Seelenlehre sein kann. Nach Kant ist »das Ich ... zwar in allen Gedanken; es ist aber mit dieser Vorstellung nicht die mindeste Anschauung verbunden, die es von anderen Gegenständen der Anschauung unterschiede« (K. d. r. V., 731; erste Ausgabe). Der Nachsatz läßt sich nicht aufrecht erhalten. Denn mit dem Selbstbewußtsein als der Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt ist, wie ausgeführt, notwendig die Mannigfaltigkeit der Erlebnisse verbunden, die die Erfahrung ausmachen: nur auf Grund des realen Erlebniszusammenhanges eben konstituiert sich das »Ich denke« und ist von ihm keinesfalls zu trennen. Der Erlebniszusammenhang aber ist uns unmittelbar gegeben und darum mit der Vorstellung des Ich denke
notwendig
»Anschauung verbunden«, da ja Anschauung, wenn der Begriff nicht willkürlich auf räumliche Gegebenheit eingeschränkt wird, eben unmittelbare Gegebenheit bedeutet. Diese Anschauung ist dann auch sehr wohl von anderen Gegenständen der Anschauung unterschieden. Durch sie nämlich sind uns gegeben alle die Erlebnisse, die sich uns als Erlebnisse unseres Bewußtseinslebens charakterisieren und die als solche von allen möglichen Erlebnissen irgendeines fremden Bewußtseins unterschieden sind. Man kann also nicht nur wahrnehmen, daß diese Vorstellung (das Ich denke) bei allen Dingen wiederum vorkommt, sondern auch, »daß es eine stehende und bleibende Anschauung sei«, nämlich die mit jedem Erlebnis unmittelbar gegebene und als transzendentale Bedingung des Bewußtseinszusammenhanges objektiv gültige Zugehörigkeit des Erlebnisses zur Einheit des persönlichen Bewußtseins. Kants Ablehnung des Nachsatzes, »worin die Gedanken (als wandelbar) wechselten« (K. d. r. V., 731), besteht insofern zu Recht, als sie sich gegen die naturalistische Verdinglichung des Bewußtseinszusammenhanges zu einem Seelenraum wendet, in dem sich Ereignisse als auf ihrem Schauplatz abspielten; die Bewußtseinseinheit ist zwar abstraktiv von der Bewußtseinsmannigfaltigkeit zu sondern, niemals jedoch als »Realität« unabhängig von dem Bewußtseinsverlauf zu denken, sondern an die Tatsache, daß uns überhaupt Erlebnisse gegeben sind, ebenso gebunden, wie umgekehrt die Gegebenheit von Erlebnissen an die Bewußtseinseinheit gebunden bleibt; transzendentale Bedingungen sind nicht auf einander zurückführbar. Der Gedanke an die Konstanz der Bewußtseinseinheit aber, im Gegensatz zum Fluß der Erlebnisse, hat gleichwohl, der Kantischen Lehrmeinung widersprechend, reale Gültigkeit. Von einer Beharrlichkeit des Ich kann transzendental sehr wohl sinnvoll die Rede sein; wofern nur der Substanzbegriff, auch wo es sich um psychische Zusammenhänge handelt, als Erfahrungsbegriff, nicht als transzendenter Ding an sich-Begriff gehandhabt wird. Diese Möglichkeit hat Kant bei der Auflösung des ersten Paralogismus aus den dargelegten Gründen nicht berücksichtigen können. Als Problem des »empirischen Ich« wird sie uns wieder begegnen.
    Der zweite Paralogismus ist der der Simplizität der Seele. – Das Prinzip der Simplizität wird von Kant ohne weiteres zum Prinzip der Immaterialität gewandt auf Grund der Erwägung, daß eben die Teilbarkeit das die Materie vom Ich Unterscheidende sei. Der Abweis der Materialität, den Kant nur problematisch anerkennt, läßt sich allerdings positiv durchführen, wenn nämlich der transzendente Ding an sich-Begriff für die Raumwirklichkeit sowohl wie für die psychischen Zusammenhänge vermieden wird und man beide nur als gesetzmäßige Zusammenhänge von Phänomenen versteht. Dann genügt die Bestimmung, daß räumlich lokalisierte Erlebnisse zu solchen Gesetzen zusammengefaßt werden, die wir materielle Dinge nennen, während räumlich nicht bestimmte Erlebnisse, also solche, die nicht Eindruckserlebnisse im Sinne der »Transcendentalen Systematik« sind, unter Dingbegriffen ihre Zusammenfassung finden, die, nicht allein ihrer Erkenntniskonstitution, sondern ihrem realen Bestand nach als »psychische« Dinge in einem weiterhin von uns zu klärenden

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