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Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Titel: Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Strugatzki , Arkadi Strugatzki
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bemerkte er.
    »Wo ist das?«, fragte ich.
    »Eine außerterrestrische Station, ein künstlicher Mondtrabant. Tsifei ist chinesisch und bedeutet ›Start‹. Die Station dient als Startplatz für Photonenraumschiffe.«
    Er stellte das Glas auf den Tisch und setzte sich die Baskenmütze wieder auf. Dann erhob er sich und gab mir die Hand.
    »So«, sagte er. »Dann gehe ich jetzt.«
    »Und was ist mit Ru ž ena?«, fragte ich. »Weiß sie es schon?«
    »Nein«, antwortete er. »Ich habe noch nicht mit ihr gesprochen.«
    Er setzte sich wieder in den Sessel. Wir schwiegen.
    »Für lange?«, erkundigte ich mich. Aber ich wusste, dass es für immer war.
    »Nein, nicht so lange«, antwortete er. »Wir rechnen damit, in zweihundert Jahren wieder zurück zu sein. Vielleicht auch erst in zweihundertfünfzig. Nach euren, das heißt, nach Erdenjahren berechnet, versteht sich. Wir fliegen sehr schnell. Fast mit Lichtgeschwindigkeit … So, jetzt muss ich aber gehen.« Doch er blieb sitzen.
    »Komm, lass uns noch ein Glas Wein trinken«, schlug ich vor.
    »Einverstanden.«
    Wir stießen an und tranken jeder ein Glas goldenen Jawawein.
    »Weißt du«, fuhr er fort. »Ich kann es kaum glauben. Obwohl – vor uns ist schon Gorbowski geflogen und als Erster Bykow. Ich bin der Dritte. Die zwei nächsten Expeditionen sind schon in Vorbereitung, weitere werden gewiss folgen. Ist ja keine große Sache für uns – zehn Jahre Flug, wenn’s hochkommt, fünfzehn.«
    »Ja«, sagte ich. »Natürlich. Die Einstein’sche Zeitdilatation und so weiter.«
    Schließlich stand er doch auf.
    »Ich gehe jetzt … Begleitest du mich, Sanja?«, fragte er.
    Ich nickte. Er rückte seine Mütze zurecht und ging zur Tür. Dort blieb er noch einmal stehen.
    »Danke«, sagte er.
    Ich gab keine Antwort. Ich brachte kein Wort über die Lippen.
    Außer Petrow flogen noch fünf Mann auf der »Muromez«. Drei von ihnen kannte ich: Larry Larsen, Sergej Sawjalow und Saburo Mikimi. Mit Larsen war ich sogar befreundet, wenn auch nicht so eng wie mit Walja. Etwa zehn Leute waren gekommen, um die Raumflieger zu verabschieden. Als es nur noch eine Stunde bis zum Start war, versammelten sich alle in der Mannschaftskajüte. Auf der »Tsifei« herrschte Schwerelosigkeit, deshalb trugen wir Schuhe mit Magnetabsätzen.
    Ru ž ena und Walja hielten sich an den Händen. Ru ž ena hatte sich in der letzten Zeit sehr verändert. Sie war schmäler geworden, ihre Augen schienen noch größer als sonst, und sie biss sich immerzu auf die untere Lippe. Aber sie war nach wie vor sehr hübsch … unglaublich hübsch. Walja hielt ihre Hand und lächelte. Doch mir schien, als rase er in Gedanken bereits mit Lichtgeschwindigkeit zu fernen Sternen. Er und Ru ž ena schwiegen. Ein einziges Mal nur sagte sie mit leiser Stimme ein paar Worte zu ihm, und dann streichelte er ihre Hand.
    Alle anderen schwiegen ebenfalls. Ein junges Mädchen in einem orangefarbenen Pullover, das einen mir unbekannten Raumfahrer begleitete, schluchzte von Zeit zu Zeit leise auf, worauf er errötete und ihr leicht mit der Hand auf die Schulter klopfte. Ich begleitete nicht zum ersten Mal Kosmonauten zum Start. Die anderen wahrscheinlich auch nicht, aber heute war alles anders: Von diesen sechs Männern verabschiedeten wir uns für immer. Sie würden erst wieder zurückkehren, wenn von uns schon niemand mehr am Leben war – weder ich noch Ru ž ena noch das Mädchen mit dem orangefarbenen Pullover. Die sechs würden von unseren Nachkommen begrüßt werden. Vielleicht sogar von ihren eigenen. Nach Jahrhunderten wird Walja einmal ein Mädchen kennenlernen, dessen Familienname ebenfalls Petrow ist. »Ich kannte mal einen Petrow«, wird er sagen. »Der kommandierte die ›Dritte Sternenexpedition‹. Wir kannten uns von Kindesbeinen an. Sind Sie vielleicht seine Enkelin?« – »Ja«, wird das Mädchen antworten. »Fast. Ich bin seine Ur-, Ur-, Ur-, Ur- …«
    »Sei nicht traurig«, sagte Walja laut.
    »Das bin ich ja gar nicht«, antwortete Ru ž ena.
    »Es ist sehr wichtig.«
    »Ja, ich verstehe.«
    »Nein, Ru ž enka«, entgegnete Petrow. »Du verstehst es nicht. Gar nichts verstehst du. Ebenso wenig wie Sanja das versteht. Der sitzt da und denkt: ›Warum macht er das bloß?‹ Stimmt’s, Sanja?«
    Er lachte … Nein, er hatte nicht erraten, woran ich dachte. Walja und ich kannten uns bereits als Kinder, und ich mochte ihn sehr. Auch wenn wir grundverschieden waren. Ich hatte immer das Gefühl, dass er sich über

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