Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
beiden verschwanden, und Komow machte sich ans Abräumen des Geschirrs.
»Von heute Abend an werde ich Wachen bei Ihnen aufstellen«, kündigte Ryu an.
»Das wäre wohl nicht verkehrt«, erwiderte Mboga zögernd. »Freilich würde ich fürs Erste gern selbst die Wache übernehmen. Hör zu, Gennadi, ich werde jetzt ein bisschen schlafen, und heute Nacht leg ich mich auf die Lauer, einverstanden?«
»Meinetwegen, Doktor«, stimmte Komow zu, wenn auch nicht eben erfreut.
»Ich leiste Ihnen Gesellschaft«, erklärte Ryu.
»In Ordnung«, erwiderte Mboga. »Aber bitte ohne Ihre Kyber.«
Vom Nachbardach drang eine Schimpfkanonade herüber: »Du meine Güte, hatte ich dich nicht gebeten, die Säcke in der richtigen Reihenfolge abzulegen?«
»Das habe ich doch, was willst du denn?«
»Das nennst du in der richtigen Reihenfolge? Index ›E-7‹, ›A-2‹, ›B-16‹ und wieder ›E …‹!«
»Tanja, Ehrenwort! … He, ihr da!«, brüllte Fokin aufgebracht über die ganze Straße. »Wer hat die Säcke vertauscht?«
»Na bitte«, rief Tanja. »Und der Sack ›E-9‹ ist ganz verschwunden!«
»›Missis, ’n Bettlaken ist weg‹«, sagte Mboga leise.
»Was?« Komow wurde bleich. »Sucht alles genau durch!«, rief er, sprang vom Dach und lief zu Tanja und Fokin.
Mboga folgte ihm mit seinem Blick und schaute dann in Richtung Süden, zum jenseitigen Flussufer. Er hörte Komow auf dem Nachbardach sagen: »Was war in dem Sack?« – »Der BFG«, erwiderte Tanja. – »Dann lamentiert nicht herum, sondern baut einen neuen zusammen.« – »Das wird zwei Tage in Anspruch nehmen«, ärgerte sich Tanja. »Was schlägst du vor?« – »Wir nehmen den Schneidbrenner«, antwortete Fokin. Auf dem Dach breitete sich Schweigen aus.
»Sehen Sie mal, Ryu«, sagte Mboga plötzlich. Er stand da, die Hand zum Schutz vor der Sonne über die Augen gelegt, und sah noch immer zum Fluss hinüber.
Ryu blickte in die gleiche Richtung. Die grüne Ebene hinter dem Fluss wimmelte nur so von schwarzen Flecken – die Rücken der »Nilpferde«. Ryu hätte nie gedacht, dass es so viele dieser Tiere am anderen Ufer gab. Die Flecken bewegten sich langsam gen Süden.
»Ich habe den Eindruck, sie verlassen die Stadt«, sagte Mboga.
Komow beschloss, unter freiem Himmel zu schlafen. Er holte sein Bettzeug aus dem Zelt und machte es sich, die Hände im Nacken verschränkt, auf dem Dach bequem. Der Himmel war blau, fast schwarz, und am Horizont im Osten zog langsam eine große, orange-grüne Scheibe mit verschwommenen Rändern herauf – es war die Palmira, der Mond der Leonida. Von der dunklen Ebene hinter dem Fluss drangen gedämpfte, langgezogene Rufe herüber; sie stammten wohl von den Vögeln. Über dem Stützpunkt flammte hin und wieder kurzes Wetterleuchten auf, begleitet von einem leisen Knirschen und Knacken.
Wir müssen das Gelände umzäunen, überlegte Komow. Die Stadt mit Draht umspannen, der schwach unter Strom steht. Wenn es die Vögel sind, ist ein Zaun allerdings sinnlos. Höchstwahrscheinlich sind sie es. Für so große Greifer ist es überhaupt kein Problem, einen Sack fortzuschleppen. Sogar einen Menschen würden sie ohne Weiteres schnappen können. Auf der Pandora war das schon vorgekommen. Dort hatte ein fliegender Drache einen Mann samt Superschutzskaphander – insgesamt drei Zentner – mit sich gerissen. Mit den Schuhen fängt es an, dachte Komow, dann kommt ein Sack … Und für die ganze Gruppe ein einziger Karabiner. Weshalb Leonid Andrejewitsch damals nur so entschieden gegen Waffen war? Wir hätten gestern doch schießen sollen, wenigstens zur Abschreckung. Doch warum hat Doktor Mboga das nicht getan? Weil er glaubte …? Ich selbst hätte ja auch nicht geschossen, denn ich hatte wie er den Eindruck … Aber was ist mir eigentlich konkret aufgefallen? Komow rieb sich kräftig die Stirn, die vom Nachdenken ganz faltig geworden war. Es handelte sich um riesige, ausgesprochen schöne Vögel, und wie sie dahinglitten! Was für ein lautloser, leichter und ebenmäßiger Flug! Nun, selbst Jäger haben manchmal Mitleid mit dem Wild und verschonen es, ich aber bin nicht einmal ein Jäger.
Zwischen den blinkenden Sternen zog gemächlich ein heller, grell glänzender Punkt seine Bahn am Zenit. Komow stützte sich auf die Ellbogen und verfolgte ihn mit den Blicken. Es war die »Sonnenblume«, ein anderthalb Kilometer langes Raumschiff für Superentfernungen. Zurzeit kreiste es über der Leonida, zwei Megameter von ihr entfernt.
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