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Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Titel: Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Strugatzki , Arkadi Strugatzki
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Schwerelosigkeit!«
    »L-laden, laden!«, gebot Jurkowski.
    Plötzlich rief Dauge: »Die Sonne!«
    Jurkowski ruderte zum Periskop. In dem orangefarbenen Nebel tauchte sekundenlang ein verschwommener rötlicher Ball auf.
    »Das ist das letzte Mal.« Dauge räusperte sich.
    »Sie haben schon dreimal gesagt: letzte Mal!«, stellte Mollard fest, während er den Verschlussdeckel zuklappte. Er beugte sich vor und prüfte den Verschluss. »Lebe wohl, Sonne – wie Kapitan Nemo sagte. Aber es war nicht das letzte Mal … Woldemar, ich fertig.«
    »Auch fertig«, meldete Dauge. »Vielleicht hören wir doch lieber auf?«
    Auf dem Fußboden klirrten die Metallsohlen von Magnetschuhen – Bykow trat ins Observatorium.
    »Stellt die Arbeit ein!«, sagte er mit düsterer Miene.
    »W-warum?« Jurkowski drehte sich zu ihm um.
    »Außenbords herrscht hoher Druck. Noch eine halbe Stunde, und eure Bomben krepieren gleich hier im Observatorium.«
    »S-salve!«, kommandierte Jurkowski hastig. Dauge zögerte ein wenig, betätigte aber doch den Abzug. Bykow hörte das dumpfe Blubbern der startenden Sonden und sagte: »So, und nun ist es genug. Alle Teststartvorrichtungen dichtmachen! Das Ding«, er zeigte auf das Verschlussstück, »verkeilen! Aber tüchtig!«
    »D-dürfen wir die Periskopbeobachtungen f-fortsetzen?«, fragte Jurkowski.
    »Genehmigt.« Bykow nickte. »Amüsiert euch!«
    Er wandte sich ab und ging hinaus. Dauge sagte: »Ich hab’s doch gewusst, nichts und wieder nichts ist dabei herausgekommen. Keine Synchronisation.« Er stellte die Geräte ab und nahm die Spule aus dem Diktafon.
    »J-johannytsch, meiner Meinung nach hat sich Bykow etwas einfallen l-lassen. Hast du nicht auch den Eindruck?«
    Dauge sah ihn zweifelnd an. »Ich weiß nicht. Wie kommst du darauf?«
    »Er hat so eine komische M-miene aufgesetzt. Ich k-kenne ihn doch …«
    Eine Zeit lang schwiegen alle. Man hörte nur Mollard seufzen, ihm wurde wieder schlecht. Schließlich sagte Dauge: »Ich möchte etwas essen. Wo ist nur die Suppe, Charles? Sie haben sie verschüttet, und wir müssen jetzt hungern. Wer hat heute Küchendienst, Charles?«
    »Ich«, hauchte er. Bei dem Gedanken an Essen wurde ihm noch übler, doch er riss sich zusammen. »Ich gehe neue Suppe kochen.«
    »Die Sonne!«, rief Jurkowski.
    Dauge hielt das geschwollene Auge ans Okular des Videosuchers.
    »Na also«, frohlockte Mollard. »Sehen Sie: Da ist die Sonne wieder!«
    »Das ist gar nicht die Sonne«, widersprach Dauge.
    »J-ja, anscheinend w-wirklich nicht.«
    Das ferne Lichtknäuel verblasste aufquellend im hellbraunen Dunst, löste sich in graue Flecke auf und verschwand. Jurkowski starrte dorthin und biss die Zähne so fest zusammen, dass die Kiefergelenke knackten. Leb wohl, Sonne, dachte er, leb wohl!
    »Ich will etwas essen«, sagte Dauge unwirsch. »Kommen Sie, Charles, wir gehen in die Kombüse!«
    Geschickt stieß er sich von der Wand ab, schwebte zur Tür und öffnete sie. Mollard stieß sich ebenfalls ab, schwebte aber mit dem Kopf gegen den Türrahmen. Dauge zog ihn an der Hand in den Korridor. Jurkowski hörte noch, wie Dauge fragte: »Na, wie geht’s, gu-ud?« Mollard antwortete: »Gu-ud, aber so ist sehr unbequem.« – »Halb so schlimm«, erwiderte Dauge forsch. »Sie werden sich bald daran gewöhnen.«
    Alles halb so schlimm, dachte Jurkowski, bald ist es vorbei. Er blickte wieder durchs Periskop, sah, wie sich der braune Nebel weiter oben, also dort, woher das Raumschiff gekommen war, verdichtete, und unten aus unergründlichen Tiefen, dem unermesslichen Wasserstoffabgrund, ein seltsamer rosiger Lichtschimmer zu dämmern begann. Jurkowski schloss die Augen. Leben, dachte er, lange leben, ewig leben … Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und kniff die Augen zusammen. Erblinden, taub werden und stumm, nur – leben! Sonne und Wind auf der Haut spüren und einen Freund an der Seite haben. Schmerz, Ohnmacht, Trauer. Wie jetzt. Ach … Heftig raufte er sich die Haare. Mag es getrost so bleiben wie jetzt – aber ewig. Plötzlich hörte er sich laut schniefen und besann sich. Wie weggeblasen waren plötzlich das unerträglich lähmende Entsetzen und die Verzweiflung. So ähnlich war es ihm schon mehrmals ergangen, vor zwölf Jahren auf dem Mars, vor zehn Jahren auf der Golkonda und vor zwei Jahren wieder auf dem Mars. Ein dumpfes, jäh aufwallendes Verlangen, so alt wie das Protoplasma selbst, das Verlangen, unbedingt zu leben. Wie eine kurze Ohnmacht befiel es

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