Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
Tomaten. Der Geruch, der sich im Salon ausbreitete, war nicht unangenehm, hatte aber meiner Meinung nach nichts mit Essen zu tun. »Jetzt schlafen sie noch«, erklärte Amad mit versonnenem Blick. »Sie schlafen und träumen …«
Ich sah auf die Uhr. »Um diese Zeit?«
Amad begann zu essen.
»Es ist halb elf«, sagte ich.
Amad aß. Er hatte die Mütze in den Nacken geschoben, und der grüne Schirm ragte wie der Kamm eines gereizten Mimikrodons senkrecht in die Höhe. Seine Augen waren halb geschlossen. Ich beobachtete ihn.
Nachdem er die letzte Tomatenscheibe hinuntergeschluckt hatte, wischte er die Pfanne sorgfältig mit einem Stück Weißbrot aus. Sein Blick klärte sich.
»Was sagten Sie?«, fragte er. »Halb elf? Morgen werden Sie ebenfalls um halb elf aufstehen. Oder sogar erst um zwölf. Ich zum Beispiel stehe um zwölf auf.«
Er stand auf und räkelte sich, dass die Gelenke knackten. »Puh«, sagte er. »Endlich kann ich heimfahren. Hier haben Sie meine Karte, Iwan. Legen Sie sie auf den Schreibtisch und werfen Sie sie bis zu Ihrer Abreise nicht weg.« Er trat an ein flaches Kästchen neben der Bar und schob eine andere Karte in den Schlitz. Es klickte. »Und das«, sagte er, während er die Karte gegen das Licht hielt, »geben Sie der Witwe mit meinen besten Wünschen.«
»Und dann?«, fragte ich.
»Dann kriegen Sie Geld. Sie sind doch hoffentlich kein Freund des Feilschens, Iwan? Die Witwe wird Ihnen eine Zahl nennen, und Sie sollten nicht feilschen. Das ist hier nicht üblich.«
»Ich werde mir Mühe geben«, sagte ich. »Obwohl der Versuch sicher interessant wäre.«
Amad zog die Brauen hoch. »Na, wenn Sie es so gern möchten, dann probieren Sie es aus! Machen Sie immer nur das, was Sie möchten, und Sie werden eine ausgezeichnete Verdauung haben. Ich hole jetzt Ihren Koffer.«
»Ich brauche Prospekte«, bat ich. »Reiseführer. Ich bin Schriftsteller, Amad. Ich benötige Broschüren über die ökonomische Lage der Bevölkerung, statistische Handbücher. Wo kann ich das alles bekommen? Und wann?«
»Einen Reiseführer gebe ich Ihnen«, sagte Amad. »Er enthält Statistiken, Adressen, Telefonnummern und dergleichen. Und was die Bevölkerung betrifft – so etwas wird bei uns meiner Ansicht nach gar nicht veröffentlicht. Man könnte es natürlich bei der UNESCO bestellen, aber wozu? Sie werden selbst sehen … Moment, ich hole Ihnen den Koffer und den Reiseführer!«
Er ging hinaus und kam rasch mit dem Koffer in der einen und einem dicken blauen Buch in der anderen Hand wieder.
Ich stand auf.
»Ihrer Miene nach zu urteilen«, sagte er lächelnd, »überlegen Sie, ob Sie mir Trinkgeld geben sollen oder nicht.«
»Ehrlich gesagt, ja«, gestand ich.
»Na und? Wollen Sie?«
»Ehrlich gesagt, nein«, antwortete ich.
»Sie haben eine gesunde, robuste Natur«, sagte Amad wohlwollend. »Geben Sie kein Trinkgeld. Niemandem. Da könnten Sie eins auf die Schnauze kriegen, besonders von Mädchen. Aber feilschen Sie auch nie. Da würde Ihnen dasselbe blühen. Obwohl das alles Unsinn ist. Wer weiß, vielleicht sind Sie ja wie jener Jonathan Krice gerade darauf aus, eins auf die Schnauze zu kriegen? Nun, alles Gute, Iwan. Amüsieren Sie sich gut. Und kommen Sie ins ›Leckermaul‹. Jeden Abend ab sieben Uhr. Und vor allem – denken Sie an nichts.«
Er winkte noch einmal und ging. Ich setzte mich, nahm das Glas mit dem Mixgetränk und schlug den Reiseführer auf.
2
Der Reiseführer war auf Kreidepapier mit Goldschnitt gedruckt. Und er enthielt neben interessanten Angaben auch prachtvolle Fotos. In der Stadt lebten fünfzigtausend Menschen, anderthalbtausend Katzen, zwanzigtausend Tauben und zweitausend Hunde (darunter siebenhundert preisgekrönte). Es gab fünfzehntausend Pkws, fünfhundert Hubschrauber, tausend Taxis (mit Fahrer und ohne), neunhundert automatische Müllwägen, vierhundert Bars, Cafés und Imbisshallen, elf Restaurants, vier Interhotels und eine Kureinrichtung, in der alljährlich bis zu hunderttausend Personen betreut wurden. Die Stadt verfügte über sechzigtausend Stereovisorgeräte, fünfzig Kinos, acht Vergnügungs parks, zwei Gute-Laune- und sechzehn Schönheitssalons, vierzig Bibliotheken und hundertachtzig Friseurautomaten. Achtzig Prozent der Einwohner waren im Dienstleistungssektor beschäftigt, die übrigen arbeiteten in zwei privaten Kombinaten für synthetische Konditoreiwaren und einer staatlichen Schiffsreparaturwerft. Die Stadt hatte sechs Schulen und eine
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