Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
schmunzelte. »Ich habe schon ganz anderes gesehen. Ich musste nämlich bei der Polizei arbeiten.«
»Nach dem Aufstand?«
»Nein, viel später. Als das Gesetz über die Gangster verabschiedet wurde.«
»Hier nannte man sie ebenfalls Gangster?«
»Wie denn sonst? Räuber? ›Räuber, bewaffnet mit Flammenwerfern und Tränengasbomben, belagerten die Stadtverwaltung‹«, deklamierte er. »Das klingt nicht gut, oder? Räuber – das ist Axt, Morgenstern, Schnurrbart bis an die Ohren, Säbel …«
»Bleirohr«, schlug ich vor.
Amad lachte laut. »Was machen Sie heute Abend?«, fragte er.
»Spazierengehen.«
»Haben Sie Bekannte hier?«
»Ja. Warum fragen Sie?«
»Dann liegt die Sache anders.«
»Wieso?«
»Ich wollte Ihnen etwas vorschlagen, aber wenn Sie Bekannte haben …«
»Apropos«, sagte ich. »Wie heißt der hiesige Bürgermeister?«
»Bürgermeister? Mist, ich erinnere mich nicht. Sie haben einen gewählt …«
»Vielleicht Pek Senai?«
»Keine Ahnung«, bedauerte Amad. »Ich müsste lügen.«
»Haben Sie nie von ihm gehört?«
»Senai … Pek Senai … Nein. Nie gehört. Wieso, ist er Ihr Freund?«
»Ja. Ein alter Freund. Ich habe noch mehr Freunde, aber sie sind alle nicht von hier.«
»Lassen Sie uns so verbleiben«, schlug Amad vor. »Wenn Sie sich langweilen oder ins Grübeln geraten, dann kommen Sie zu mir. Ich sitze jeden Abend ab sieben Uhr im ›Leckermaul‹. Essen Sie gerne gut?«
»Und ob«, sagte ich.
»Ihr Magen ist in Ordnung?«
»Könnte nicht besser sein.«
»Dann müssen Sie vorbeikommen. Es ist lustig dort, und man braucht an nichts zu denken.«
Amad bremste und bog vorsichtig zu einem Gittertor ab, das sich geräuschlos öffnete. Das Auto rollte in einen Hof.
»Da wären wir«, erklärte Amad. »Das ist es.«
Das Haus war zweistöckig, weiß und blau gestrichen. Die Gardinen hinter den Fenstern waren zugezogen. Der saubere kleine Hof war leer, mit bunten Platten ausgelegt und von einem Obstgarten umgeben; die Zweige der Apfelbäume schrammten an den Hauswänden.
»Und wo ist die Witwe?«, fragte ich.
»Gehen wir ins Haus«, sagte Amad. Er stieg die Außentreppe hinauf und blätterte dabei in seinem Notizbuch. Ich folgte ihm und blickte mich um. Das Gärtchen gefiel mir. Amad hatte die Seite in seinem Notizbuch gefunden. Er wählte auf der kleinen Scheibe neben der Klingel die Ziffernkombination, und die Tür sprang auf. Kühle wehte uns entgegen. Im Haus war es dunkel, aber kaum waren wir in der Diele, flammte Licht auf.
Amad steckte das Notizbuch ein und sagte: »Rechts sind die Räume der Wirtin, links – Ihre. Bitte … Hier ist der Salon. Da die Bar, gleich trinken wir etwas. Bitte weiterzugehen. Das Arbeitszimmer! Haben Sie einen Fonor?«
»Nein.«
»Brauchen Sie auch nicht. Es ist alles da. Kommen Sie. Das Schlafzimmer. Das Bedienungspult für akustischen Schutz. Können Sie damit umgehen?«
»Ich werde mich schon zurechtfinden.«
»Gut. Ein Dreischichtschutz – Sie können sich hier nach Belieben ein Grab oder ein Bordell einrichten. Dort ist die Steuerung der Klimaanlage. Ziemlich unbequem, finde ich. Sie lässt sich nur vom Schlafzimmer aus regeln …«
»Ich werde schon klarkommen«, sagte ich.
»Wie? Ach so … Drüben sind Badezimmer und Toilette.«
»Mich interessiert die Witwe«, sagte ich. »Und die Tochter.«
»Die laufen Ihnen nicht weg. Soll ich die Stores aufziehen?«
»Wozu?«
»Richtig, wozu. Gehen wir was trinken.«
Wir kehrten in den Salon zurück, und Amad verschwand bis zur Hüfte in der Hausbar.
»Möchten Sie etwas Hochprozentiges?«
»Im Gegenteil.«
»Rührei, Sandwiches?«
»Bitte nichts.«
»Doch«, sagte Amad. »Rührei. Mit Tomaten.« Er kramte in der Bar. »Ich weiß nicht, wie es kommt, aber der Automat bereitet wunderbares Rührei mit Tomaten. Ich werde auch einen Happen essen.«
Er zog ein Tablett aus der Bar und stellte es auf das niedrige Tischchen vor der halbrunden Liege. Wir setzten uns.
»Und die Witwe?«, mahnte ich. »Ich würde mich gern vorstellen.«
»Gefallen Ihnen die Räumlichkeiten?«
»Ja.«
»Und die Witwe wird Ihnen auch gefallen. Ebenso die Tochter.« Er nahm ein flaches Lederetui aus der Seitentasche. Darin steckten, wie Patronen im Gurt, Ampullen mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten. Amad sah sie durch, schnupperte aufmerksam am Rührei, zögerte kurz und wählte dann eine Ampulle mit etwas Grünem. Nachdem er sie vorsichtig aufgeknickt hatte, tröpfelte er den Inhalt auf die
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