Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
Gewerkschaft gehen.«
Wieder blieb ich stumm. Der Meister atmete stoßweise an meinem Ohr.
»Sollen sie sich doch von den Automaten rasieren lassen«, sagte er plötzlich rachsüchtig. »Sollen sie doch wie gerupfte Gänse herumlaufen. Wir haben sie einmal ausprobieren lassen, wie das ist, und dann wollen wir jetzt mal sehen, ob es ihnen gefallen hat.«
»Ich fürchte, das wird nicht einfach sein«, sagte ich vorsichtig, weil ich keine Ahnung hatte, worum es ging.
»Wir Meister sind Schwierigkeiten gewohnt. Jawohl! Wenn bei Ihnen eine fette Vogelscheuche auftaucht, verschwitzt und scheußlich, und Sie aus ihr einen Menschen machen sollen oder zumindest etwas, was sich im Alltagsleben nicht von einem Menschen unterscheidet, was ist denn das – etwa einfach? Erinnern Sie sich noch, was Dan sagte? ›Eine Frau bringt einmal in neun Monaten einen Menschen zur Welt, wir Meister machen das jeden Tag.‹ Sind das nicht herrliche Worte?«
»Dan sprach von den Friseuren?«, fragte ich für alle Fälle.
»Dan sprach von den Meistern! ›Mit uns steht und fällt die Schönheit der Welt‹, sagte er. Und dann noch, erinnern Sie sich? ›Um aus dem Affen einen Menschen zu machen, musste Darwin ein ausgezeichneter Meister sein.‹«
Ich beschloss zu passen und bekannte: »Daran erinnere ich mich nun nicht.«
»Sehen Sie sich ›Die Rose des Salons‹ schon lange an?«
»Ich bin ja erst seit Kurzem hier.«
»Ach so. Dann haben Sie eine Menge versäumt. Meine Frau und ich sehen sie uns schon das siebte Jahr an, jeden Dienstag. Nur einmal haben wir ausgesetzt. Ich hatte einen Anfall gehabt und das Bewusstsein verloren. Aber in der ganzen Stadt gibt es nur einen, der keine Folge ausgelassen hat – Meister Mil aus dem Zentralsalon.«
Er trat ein paar Schritte zurück, schaltete verschiedenfarbige Soffitten ein und aus und hantierte dann weiter.
»Das siebte Jahr«, wiederholte er. »Und nun stellen Sie sich vor: Im vorvorigen Jahr ermorden sie plötzlich Mirosa, werfen Lewant auf Lebenszeit in die japanischen Folterkammern, und Dan verbrennen sie auf dem Scheiterhaufen. Können Sie sich das vorstellen?«
»Unmöglich«, sagte ich. »Dan? Auf dem Scheiterhaufen? Giordano Bruno wurde freilich ebenfalls auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
»Möglich«, sagte der Meister ungeduldig. »Jedenfalls wurde uns klar, dass sie die Serie auf schnellstem Wege absetzen wollten. Aber das haben wir nicht geduldet. Wir riefen einen Streik aus und kämpften drei Wochen lang. Mil und ich standen vor den Friseurautomaten Streikposten. Und ich muss Ihnen sagen, ein bedeutender Teil der Einwohner sympathisierte mit uns.«
»Wäre ja auch gelacht«, sagte ich. »Und dann? Haben Sie gesiegt?«
»Wie Sie sehen. Jetzt wissen die im Telezentrum, mit wem sie es zu tun haben. Wir sind keinen Schritt zurückgewichen und werden auch nicht zurückweichen, wenn’s drauf ankommt. Jedenfalls spannen wir seitdem wie in alten Zeiten jeden Dienstag richtig aus.«
»Und an den übrigen Tagen?«
»An denen warten wir auf den Dienstag und rätseln, womit ihr Literaten uns erfreuen werdet, streiten und schließen Wetten ab. Übrigens, so viel Muße haben wir Meister gar nicht.«
»Viel Kundschaft?«
»Nein, das ist es nicht. Ich denke an die Arbeit zu Hause. Meister zu werden ist nicht schwer, es ist schwer, Meister zu bleiben. Eine Unmenge an Literatur, neuen Methoden, neuen Verfahren, und alles muss man verfolgen, muss unaufhörlich experimentieren, forschen und die Grenzgebiete beobachten – die Bionik, die plastische Medizin, die Organik. Dann, wissen Sie, sammelt sich Erfahrung an und wächst das Bedürfnis, sich mitzuteilen. So schreiben Mil und ich nun bereits das zweite Buch, und buchstäblich jeden Monat müssen wir im Manuskript Verbesserungen vornehmen. Es veraltet mit jedem Tag. Jetzt beende ich gerade einen Artikel über eine wenig bekannte Eigenschaft des nichtplastischen, von Geburt an geraden Haares, und wissen Sie, ich habe praktisch keine Chance, der Erste zu sein. Allein in unserem Land kenne ich drei Meister, die sich mit demselben Problem beschäftigen. Und das ist nicht verwunderlich: Das nichtplastische, von Geburt an gerade Haar ist ein höchst aktuelles Problem. Denn es gilt als absolut nichtästhetisierbar. Aber das wird Sie sicher nicht interessieren. Literat sind Sie?«
»Ja«, antwortete ich.
»Wissen Sie, während des Streiks habe ich flüchtig einen Roman gelesen. Ob der von Ihnen war?«
»Keine Ahnung«, sagte ich.
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