Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
»Worum ging es denn?«
»Nun, ich kann es Ihnen nicht mehr ganz genau sagen.Der Sohn verkrachte sich mit dem Vater und hatte einen Freund, einen unsympathischen Menschen mit merkwürdigem Nachnamen … Er schlachtete Frösche …«
»Ich kann mich nicht erinnern«, log ich. Armer Iwan Sergejewitsch!
»Ich kann mich auch nicht erinnern. Irgendein Quatsch. Ich habe einen Sohn, aber der verkracht sich nie mit mir. Und nie quält er Tiere, höchstens als Kind …«
Wieder trat er zurück und ging, mich betrachtend, langsam um mich herum. Seine Augen glänzten; er schien sehr zufrieden zu sein.
»Dabei können wir es wohl bewenden lassen«, meinte er.
Ich kletterte aus dem Sessel.
»Nicht übel«, murmelte der Meister. »Wirklich, gar nicht übel.«
Ich stellte mich vor den Spiegel, und er schaltete die Lampen ein. Sie strahlten mich von allen Seiten an, sodass auf meinem Gesicht kein Schatten lag. Zunächst fiel mir nichts auf. Ich war, wie ich war. Dann merkte ich, dass das nicht ganz stimmte: Das war besser als ich. Viel besser als ich. Schöner. Herzlicher. Bedeutender. Und ich schämte mich, als hätte ich mich vorsätzlich für jemanden ausgegeben, dem ich nicht das Wasser reichen konnte.
»Wie haben Sie das fertiggebracht?«, fragte ich halblaut.
»Das war eine Kleinigkeit«, antwortete der Meister und lächelte sonderbar. »Sie haben sich, obwohl gründlich vernachlässigt, als recht unkomplizierter Kunde entpuppt.«
Wie Narziss stand ich vor dem Spiegel und konnte mich nicht losreißen. Dann wurde mir plötzlich unheimlich. Der Meister war ein Zauberer, ein böser Zauberer, wenngleich er das selber gar nicht ahnte. Im Spiegel stand, von Scheinwerfern angestrahlt, ungewöhnlich attraktiv und das Auge erfreuend, eine Lüge. Eine kluge, schöne, bedeutende Leere. Nein, natürlich keine Leere – so eine niedrige Meinung hatte ich nicht von mir, aber der Kontrast war allzu groß. Meine ganze innere Welt, alles, was ich sonst so an mir schätzte – das brauchte ich jetzt nicht mehr. Es war überflüssig. Ich blickte den Meister an. Er lächelte.
»Haben Sie viele Kunden?«, erkundigte ich mich.
Er begriff meine Frage nicht, und ich wollte auch gar nicht, dass er sie begriff.
»Seien Sie unbesorgt«, antwortete er. »An Ihnen werde ich stets mit Vergnügen arbeiten. Hochwertiges Rohmaterial.«
»Danke«, sagte ich gesenkten Blicks, um sein Lächeln nicht sehen zu müssen. »Danke. Ich darf mich verabschieden.«
»Vergessen Sie nicht zu bezahlen«, sagte er gutmütig. »Wir Meister schätzen unsere Arbeit sehr.«
»Ja, natürlich«, besann ich mich. »Selbstredend. Wie viel bin ich Ihnen schuldig?«
Er nannte den Preis.
»Wie?«, fragte ich und kam zu mir.
Er wiederholte es vergnügt.
»Das ist Wahnsinn«, sagte ich ehrlich.
»Das ist der Preis der Schönheit«, erklärte er. »Sie sind als gewöhnlicher Tourist gekommen und gehen als König der Natur. Ist es nicht so?«
»Als falscher Demetrius gehe ich«, murmelte ich, während ich das Geld hervorholte.
»Na, na, warum so verbittert?«, meinte er schmeichelnd. »Selbst ich weiß das nicht sicher. Und auch Sie sind nicht überzeugt. Noch zwei Dollar, bitte … Ich danke Ihnen. Hier sind fünfzig Cent zurück. Sie haben doch nichts gegen Cents?«
Ich hatte nichts gegen Cents. Ich wollte möglichst rasch weg.
Ich stand eine Weile im Vestibül, um mich zu fassen, und schaute durch die Glaswand auf den Jurkowski aus Metall. Im Grunde war das alles gar nicht so neu. Im Grunde waren Millionen Menschen keineswegs das, wofür sie sich ausgaben. Aber dieser verfluchte Meister hatte einen Empiriokritizisten aus mir gemacht. Die Realität tarnte sich mit schönen Hieroglyphen. Ich glaubte plötzlich nicht mehr, was ich in dieser Stadt sah. Der aus Stereoplast gegossene Platz war in Wirklichkeit gar nicht so schön. Unter den eleganten Umrissen der Automobile schienen sich unheilvolle, abscheuliche Formen zu verbergen. Und die reizende Frau dort war in Wirklichkeit eine ekelhaft stinkende Hyäne, ein geiles, stumpfsinniges Schweinchen. Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. In der Nähe blieben zwei geschniegelte Greise stehen und stritten voll Eifer, ob geschmortem oder in Federn gebackenem Fasan der Vorzug zu geben sei. Sabbernd, schmatzend und keuchend zankten sie sich und schnipsten sich gegenseitig mit knochigen Fingern unter der Nase. Diesen beiden hätte kein Meister helfen können. Sie waren selber Meister und verhehlten es nicht.
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