Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
ihre Liebesfähigkeit unterscheiden, und diese Fähigkeit wird – wiederum mithilfe der Wissenschaft – die Quelle neuer, nie dagewesener Freuden und Wonnen. Verzeihung, wie heißen Sie? Iwan? Dann sind Sie, sollte man meinen, aus Russland. Kommunist? Aha. Nun ja, bei Ihnen dort ist alles anders, ich weiß. Da ist auch schon der Kaffee. Hmmm, kein schlechter Kaffee! Aber wo bleibt der Kognak? Aha, ich danke Ihnen. Übrigens hörte ich, der Große Degustator ziehe sich von den Geschäften zurück. Auf dem letzten Brüsseler Kognakwettbewerb gab es einen Skandal, der nur mit großer Mühe vertuscht werden konnte. Den Grand Prix erhielt der ›Weiße Zentaur‹. Die Jury war begeistert. Das hatte es noch nie gegeben. Ein Feuerwerk der Sinne. Man las den Begleittext und – o Schreck! – Synthetik! Der Große Degustator wurde weiß wie Papier und musste sich übergeben! Ich hatte, nebenbei bemerkt, Gelegenheit, diesen Kognak zu probieren, er ist vorzüglich, aber er wird aus Masut gebrannt und hat nicht einmal eine eigene Bezeichnung. A-x-achtzehn geteilt durch Naphthen, und er ist billiger als Spiritus. Nehmen Sie diese Zigarre. Unsinn, was heißt, Sie rauchen nicht? Nach solch einem Essen muss man rauchen. Ich liebe dieses Restaurant. Wenn ich herkomme, um an der hiesigen Universität Vorlesungen zu halten, speise ich stets im ›Olympic‹. Und bevor ich nach Hause fahre, kehre ich auf jeden Fall in der ›Taverne‹ ein. Zwar haben sie dort nicht dieses Grün, diese Paradiesvögelchen, und es ist ein bisschen zu heiß dort, ein bisschen zu schwül und riecht nach Rauch, aber die Küche ist einmalig. Die ›Eifrigen Degustatoren‹ geben sich dort ein Stelldichein. Entweder in der ›Taverne‹ oder im ›Leckermaul‹. In beiden Lokalen isst man; dort kann man nicht plaudern, nicht lachen. Es ist völlig sinnlos, mit einer Frau hinzugehen, man isst dort bloß! Still, in sich gekehrt …«
Doktor Opir lehnte sich schließlich im Sessel zurück und tat einige genussvoll tiefe Züge. Ich lutschte an der mächtigen Zigarre und sah ihn an. Ich durchschaute ihn, diesen Doktor der Philosophie. Immer und zu allen Zeiten gab es Menschen wie ihn. Menschen, die vollkommen zufrieden waren mit ihrer Stellung in der Gesellschaft und deshalb auch vollkommen zufrieden mit der Gesellschaft. Ein vortreffliches Mundwerk und eine gewandte Feder, prächtige Zähne und kerngesunde Organe, tadellos funktionierende Geschlechtsteile.
»Die Welt ist also schön?«, fragte ich.
»Ja«, erwiderte Doktor Opir gefühlvoll. »Endlich ist sie schön.«
»Sie sind ein großer Optimist«, sagte ich.
»Unsere Zeit ist die Zeit der Optimisten. Der Pessimist geht in den Gute-Laune-Salon, pumpt sich die Galle aus dem Unterbewusstsein und wird Optimist. Die Zeit der Pessimisten ist vorbei, wie die Zeit der Tuberkulosekranken, der sexuell Besessenen und der Militärs. Der Pessimismus als Geisteshaltung wird von eben derselben Wissenschaft ausgerottet. Und nicht nur indirekt, indem Überfluss geschaffen wird, sondern auch unmittelbar, indem man geradewegs in die dunkle Welt des subkortikalen Abschnitts einbricht. Nehmen wir die Traumgeneratoren, die derzeit modernste Volksbelustigung. Absolut unschädlich, ungewöhnlich massenwirksam und einfach zu konstruieren. Oder die Neurostimulatoren.«
»Und scheint Ihnen nicht, dass die Wissenschaft gerade auf diesem Gebiet – etwa der pharmazeutischen Chemie – manchmal des Guten zu viel tut?«, gab ich zu bedenken.
Doktor Opir lächelte nachsichtig, während er seine Zigarre beschnupperte. »Die Wissenschaft verfuhr stets nach der Methode ›trial and error‹«, erklärte er. »Und ich neige zu der Annahme, dass die sogenannten Fehler immer ein Ergebnis verbrecherischer Nutzung sind. Das Goldene Zeitalter haben wir noch nicht, wir treten gerade erst ein, und einstweilen treiben sich zwischen unseren Füßen alle möglichen Outlaws, Hooligans oder einfach Schurken umher. Es gibt Drogen, die die Gesundheit zerstören; wie Sie wissen, wurden sie zu edelsten Zwecken geschaffen, denken Sie an die Aromatika oder dieses, das man bei Tisch nicht nennt …« Er kicherte reichlich obszön. »Sie erraten bestimmt, worauf ich hinauswill, wir sind ja keine Kinder mehr … Nun, all dies darf uns nicht stören. Es geht vorbei, so wie auch die Atombomben passé sind.«
»Ich wollte nur unterstreichen«, warf ich ein, »dass es nach wie vor Alkohol- und Drogenprobleme gibt.«
Doktor Opirs Interesse an unserer
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