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Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Titel: Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Strugatzki , Arkadi Strugatzki
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hintere Bordwand begann sich zu heben. Aus dem Wagen drang Poltern und Rollen, und Bücher, glänzende Pakete, Schachteln und Konservenbüchsen purzelten auf die Straße. Noch bevor die hintere Bordwand geschlossen war, schmetterte der Fahrer die Tür zu und raste davon.
    Die Mädchen waren verschwunden. Ich stand allein mit den Minz-Bänden in den Händen da, während ein sachter Wind träge die Seiten der »Geschichte des Faschismus« zu meinen Füßen umblätterte. Dann tauchten Jungs in kurzen gestreiften Hosen auf. Wortlos gingen sie vorbei, die Hände in den Taschen. Einer sprang auf die Fahrbahn und stieß eine Büchse Ananaskompott mit glänzendem, schönem Etikett wie einen Fußball vor sich her.

6
    Auf dem Weg nach Hause geriet ich in den Schichtwechsel. Die Straßen füllten sich mit Autos, über den Kreuzungen schwebten Hubschrauber, die den Verkehr regelten. Schweißgebadete Polizisten brüllten in ihre Megafone und sprengten die jeden Augenblick neu entstehenden Staus. Die Autos fuhren im Schritttempo; die Fahrer streckten die Köpfe heraus, plauderten miteinander, rissen Witze, grölten, gaben sich gegenseitig Feuer und hupten fürchterlich. Die Stoßstangen schepperten. Alle waren ebenso lustig wie freundlich und strahlten nur so vor Begeisterung. Es war, als sei der Stadt gerade eine schwere Last genommen worden, als schwelge jedermann in beneidenswerter Vorfreude. Auf mich und die anderen Fußgänger wies man mit Fingern. An den Kreuzungen schubsten mich Mädchen einfach so, zum Spaß, mit den Stoßstangen an. Eines davon fuhr lange neben mir her, am Trottoir entlang, und wir machten uns miteinander bekannt. Dann zogen auf dem Seitenstreifen Demonstranten mit mageren Gesichtern vorbei. Sie trugen Plakate, die dazu aufriefen, dem städtischen Laienensemble »Lieder des Vaterlands« beizutreten, den städtischen Zirkeln für kulinarische Kunst oder sich für Schnellkurse in Mutter- und Säuglingsschutz einzuschreiben. Den Plakatträgern versetzte man mit besonderem Vergnügen einen Schubs mit der Stoßstange. Man warf Zigarettenstummel nach ihnen, abgenagte Äpfel und Klümpchen gekauten Papiers. »Gleich trage ich mich ein, ich zieh mir bloß noch die Galoschen an!«, schrie man ihnen zu. – »Aber ich bin doch steril!« – »Onkelchen, sag mir, wie man Mutter wird!« Ungerührt, opferbereit, mit dem traurigen Hochmut von Kamelen vor sich hinblickend, setzten die Demonstranten ihren Marsch zwischen den zwei Autoströmen fort.
    Nicht weit von meiner Unterkunft entfernt fiel eine Schar Mädchen über mich her, und als ich mich schließlich in der Zweiten Vorortstraße wiederfand, hatte ich eine prächtige weiße Aster im Knopfloch, auf meinen Wangen trockneten Küsse, und mir war, als hätte ich die Hälfte aller Mädchen der Stadt kennengelernt. War das ein Friseur! Was für ein Meister!
    In meinem Arbeitszimmer saß Wusi im Sessel. Sie trug eine leuchtend orangefarbene Jacke. Ihre langen Beine mit den spitznasigen Schuhen lagen auf dem Tisch, und zwischen ihren langen Fingern hielt sie eine dünne, lange Zigarette. Sie hatte den Kopf zurückgelehnt und ließ lange, dichte Rauchschwaden durch die Nase zur Decke steigen.
    »Na endlich!«, rief sie, als sie mich erblickte. »Wo haben Sie denn gesteckt? Ich warte hier auf Sie, sehen Sie das nicht?«
    »Ich wurde aufgehalten«, sagte ich und versuchte, mich zu erinnern, ob ich mit ihr verabredet war.
    »Wischen Sie sich den Lippenstift ab«, befahl sie. »Sie sehen idiotisch aus. Und was haben Sie da? Bücher? Was wollen Sie damit?«
    »Was ich damit will?«
    »Es ist wirklich furchtbar mit Ihnen. Sie kommen zu spät, schleppen irgendwelche Bücher an. Oder sind das Pornos?«
    »Das ist Minz«, sagte ich.
    »Zeigen Sie mal.« Sie sprang auf und riss mir die Bücher aus den Händen. »Mein Gott, so ein Blödsinn! Drei gleiche Bücher. Und was ist das? ›Geschichte des Faschismus‹, sind Sie etwa Faschist?«
    »Aber, Wusi!«, mahnte ich.
    »Was wollen Sie dann damit? Etwa lesen?«
    »Von Neuem lesen.«
    »Ich verstehe gar nichts«, rief sie beleidigt. »Anfangs gefielen Sie mir so gut. Mama meinte, Sie seien Literat, und ich gab wie eine dumme Gans mit Ihnen an, und nun stellt sich heraus, dass Sie beinahe ein Intel sind!«
    »Wie können Sie so etwas behaupten, Wusi!«, erwiderte ich vorwurfsvoll. Ich hatte schon begriffen, dass man nicht zulassen durfte, als Intel angesehen zu werden. »Diese Wälzer benötige ich als Literat, das ist

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