Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
bewegte und immer wieder unvermittelt aufbegehrte. Der dritte, groß und mager, mit schmalem, dunklem Gesicht, ging allein, die Hände auf dem Rücken. Als sie bei mir anlangten, bremste die Bohnenstange plötzlich. Der Stämmige versuchte, ihn weiterzuschieben – vergebens. Der Magere blieb nach ein paar Schritten ebenfalls stehen. Ungeduldig wandte er sich um.
»Hab ich dich, du Aas!«, brüllte der Betrunkene und wollte mir mit seiner freien Hand an den Kragen.
Ich wich zurück und sagte zu dem Stämmigen: »Ich hab Ihnen nichts getan.«
»Hör auf zu randalieren!«, rief der Lange schroff.
»D-dich hab ich mir genau gemerkt«, brüllte der Betrunkene. »D-du entwischst mir nicht! Mit d-dir rechne ich ab!«
Ruckweise kam er auf mich zu, den Untersetzten hinter sich herziehend, der wie eine Polizei-Bulldogge an ihm hing.
»Das ist er doch gar nicht!«, sagte der Stämmige eindringlich, der das Ganze anscheinend sehr lustig fand. »Der, den du meinst, ist zum Bibberlein gegangen. Der da ist nüchtern …«
»M-mich täuschst du nicht …«
»Ich warne dich zum letzten Mal, wir schmeißen dich raus!«
»Hat Angst bekommen, der Sch-schurke, und das Armband abgenommen!«
»Ohne Brille siehst du ihn doch gar nicht, du Dummkopf!«
»Und w-wie ich ihn sehe! Selbst wenn er es nicht ist …«
»Hör endlich auf!«
Der Lange kam schließlich zurück und packte den Betrunkenen auf der anderen Seite.
»So gehen Sie doch weiter!«, sagte er gereizt zu mir. »Warum sind Sie überhaupt stehen geblieben? Haben Sie noch keinen Betrunkenen gesehen?«
»Nein, d-du entwischst mir nicht!«
Ich setzte meinen Weg fort. Ich hatte es nicht mehr weit bis nach Hause, und das Grüppchen trottete mir krakeelend hinterher.
»W-wenn’s gewünscht wird, durchschaue ich ihn ganz und gar! Herrscher der Natur … H-hat sich volllaufen lassen, bis es ihm h-hochkam, hat einem die Sch-schnauze poliert und selbst gehörig was abbekommen, mehr braucht er nicht … Lasst mich, ich h-hau ihm in die Fresse …«
»Was ist aus dir geworden! Wir führen dich ab wie einen Gangster …«
»F-führt mich doch nicht … Ich hasse sie! Bibberlein … Wodka … Weiber … Schwachkopf …«
»Ja, selbstverständlich, beruhige dich … Fall nur nicht hin.«
»Schluss mit den V-vorwürfen! Ihr ödet mich an mit euerm Pharisäertum … euerm Puritanertum … Man m-muss sie alle in die Luft sprengen! Totschießen! Vom A-antlitz der Erde radieren!«
»Nein, ist der blau! Und ich dachte schon, er wäre wieder nüchtern.«
»Ich bin n-nüchtern! Ich erinnere mich an alles. Am Achtundzwanzigsten … Na, stimmt’s?«
»Halt den Mund, Dummkopf!«
»Schsch! Richtig! Der F-feind schläft nicht, Jungs, hier irgendwo war doch ein Spitzel. Ich hab mit ihm gesprochen. Das A-armband hat er weggesteckt, der Lump. Aber ich werde ihn noch vor dem Achtundzwanzigsten …«
»So schweig doch endlich!«
»Schschsch! Kein Wort mehr … Und seid unbesorgt, die Granatwerfer stehn hinter mir …«
»Ich mach ihn kalt, den Ganoven …«
»Wider die Feinde der Z-zivilisation … Anderthalbtausend Meter Tränengas … ich persönlich … Sechs Sektoren … Hicks!«
Ich war bereits am Tor meines Hauses. Als ich mich umblickte, lag die betrunkene Bohnenstange bäuchlings da, und der Stämmige hockte neben ihm. Der Lange, der etwas abseits stand, rieb sich mit der linken Hand die Kante der rechten.
»Warum hast du das getan?«, fragte der Stämmige. »Hast ihn ja zum Krüppel geschlagen!«
»Schluss mit dem Geschwätz«, zischte der Lange wütend. »Wir können es uns einfach nicht abgewöhnen, das Quatschen. Wir können es uns einfach nicht abgewöhnen, Wodka zu saufen. Schluss damit.«
Wir werden wie Kinder sein, Doktor Opir, dachte ich und versuchte möglichst geräuschlos in den Hof zu schlüpfen. Ich hielt die Torflügel fest, damit sie beim Schließen nicht schepperten.
»Wo ist er geblieben?«, fragte der Lange, die Stimme senkend.
»Wer?«
»Der Typ, der vor uns ging …«
»Abgebogen …«
»Hast du nicht bemerkt, wo?«
»Hör mal, ich hab andere Sorgen!«
»Schade. Na gut, fass an. Gehen wir!«
Aus dem Schatten der Apfelbäume beobachtete ich, wie sie den Betrunkenen am Tor vorbeischleppten. Er röchelte fürchterlich.
Im Haus war es still. Ich ging in mein Apartment, zog mich aus und duschte heiß. Das Hawaii-Hemd und die Shorts rochen nach Tränengas und waren voller Fettflecken, die die Leuchtflüssigkeit hinterlassen hatte. Ich warf die
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