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Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Titel: Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Strugatzki , Arkadi Strugatzki
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tatsächlich schrecklich. Auf der Terrasse der Wirtin lag, den Kopf zwischen den Geländerstäben un natürlich verdreht, der Zöllner. Von der Straße her fiel quecksilbernes Licht auf sein Gesicht, das blau war, aufgedunsen und mit dunklen Rinnsalen bedeckt. Die trüben Augen unter den halb offenen Lidern schielten zur Nasenwurzel. »Sie wandeln unter den Lebenden gleich Lebenden im Tageslicht«, murmelte Len, der sich mit beiden Händen an mir festhielt. »Sie nicken und lächeln, doch in der Nacht sind ihre Gesichter weiß, und Blut tritt darauf hervor …« Ich ging zur Terrasse. Der Zöllner war im Pyjama. Er atmete heiser und roch nach Kognak. Sein Gesicht war blutig, als sei er mit der Nase in Glasscherben gefallen.
    »Er ist bloß betrunken«, sagte ich laut. »Ein Betrunkener. Er schnarcht. Widerlich.«
    Len schüttelte den Kopf. »Sie sind ein Neuling«, flüsterte er. »Sie sehen das nicht. Doch ich habe gesehen …« Wieder zitterte er. »Es kamen viele von ihnen. Sie war’s, die sie herbrachte. Und sie trugen sie. Der Mond schien. Sie sägten ihr das Schädeldach ab. Sie schrie, sie schrie so sehr. Und dann fingen sie an zu löffeln. Auch sie aß, und alle lachten, weil sie schrie und um sich schlug …«
    »Wer? Wen?«
    »Dann schichteten sie Holz auf und zündeten es an. Und tanzten am Feuer. Und dann vergruben sie alles im Garten. Und sie fuhr mit dem Auto, um einen Spaten zu holen. Ich habe alles gesehen. Soll ich Ihnen zeigen, wo sie es vergraben haben?«
    »Weißt du was, mein Freund«, sagte ich. »Wir gehen zu mir.«
    »Weshalb?«
    »Um zu schlafen, deshalb. Alle schlafen schon längst, nur wir beide schwatzen hier.«
    »Niemand schläft. Sie sind ein ahnungsloser Neuling. Niemand schläft. Jetzt kann man nicht schlafen …«
    »Los, komm«, sagte ich. »Komm mit zu mir.«
    »Nein, ich komme nicht mit«, entgegnete er. »Rühren Sie mich nicht an. Ich habe Ihren Namen nicht genannt.«
    »Und ich nehme gleich den Riemen«, sagte ich drohend, »und gerb dir den Hintern!«
    Anscheinend beruhigte ihn das ein bisschen. Er klammerte sich wieder an meinen Arm und schwieg.
    »Komm, Junge, wir gehen«, sagte ich. »Du wirst schlafen, und ich werde bei dir sitzen. Und wenn etwas passiert, wecke ich dich sofort.«
    Wir stiegen durchs Fenster in mein Schlafzimmer (er weigerte sich entschieden, durch die Tür ins Haus zu gehen), und ich legte ihn ins Bett. Ich wollte ihm ein Märchen erzählen, aber er schlief sofort ein. Er sah gequält aus, und im Schlaf zuckte er ständig. Ich schob einen Sessel ans Fenster, wickelte mich in eine Decke und rauchte eine Zigarette, um mich zu beruhigen. Ich versuchte, an Riemaier zu denken, an die Fischer, bei denen ich nun doch nicht gewesen war, an den Achtundzwanzigsten, an dem etwas passieren sollte, an die Mäzene, aber ich konnte mich nicht konzentrieren, und das machte mich wütend. Es machte mich wütend, dass ich mich nicht zwingen konnte, meine Angelegenheiten mit dem nötigen Ernst zu bedenken. Meine Gedanken schwirrten auseinander, Empfindungen drängten sich auf, ich fühlte mehr, als dass ich dachte. Ich spürte, dass ich nicht vergebens hergekommen war – obwohl ganz und gar nicht deswegen, weswegen ich hätte kommen sollen.
    Len schlief. Er wachte selbst dann nicht auf, als am Tor ein Motor knatterte, Autotüren knallten, jemand brüllte, lachte und in allen Tonarten losheulte. Man hätte meinen können, vor dem Haus werde ein Verbrechen verübt, aber es war nur Wusi, die heimkehrte … Trällernd begann sie sich schon im Garten auszuziehen; Rock, Bluse und alles andere hängte sie achtlos in die Apfelbäume. Mich bemerkte sie nicht. Sie ging ins Haus, polterte noch ein Weilchen oben in ihrem Zimmer, ließ etwas Schweres herunterfallen, dann wurde es schließlich still. Es war gegen fünf Uhr. Über dem Meer flammte das Morgenrot auf.

8
    Als ich aufwachte, war Len nicht mehr da. Die Schulter tat so weh, dass ich den Schmerz bis zum Scheitel spürte, und ich schwor mir, den Tag über»vorsichtig zu wandeln«. Obwohl ich mich krank und elend fühlte, machte ich ächzend meine Morgengymnastik, wusch mich schlecht und recht, nahm den Umschlag mit dem Geld und schob mich seitwärts durch die Tür, um zu Waina zu gehen. In der Diele blieb ich unschlüssig stehen. Ich war mir nicht sicher, ob die Wirtin schon aufgestanden war. Doch da öffnete sich ihre Tür, und Zöllner Peti betrat die Diele. Soso, dachte ich. Nachts hatte Peti noch ausgesehen wie eine mit

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