Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
wahr?«
Mist, verfluchter, dachte ich. Ich war wohl zu unerfahren, um mich mit ihm messen zu können. Ich wusste noch zu wenig.
»Gar nicht merkwürdig«, sagte ich aufs Geratewohl. »Vertreiben Sie nicht dieses Repellent? Sicherlich ist Ihnen ein Muster aus der Tasche gefallen.«
»Mir aus der Tasche?« Er wunderte sich. »Ach, Sie meinen, dass ich … Oh, ich habe längst alle Aufträge erledigt und erhole mich nur noch. Aber falls Sie Interesse haben, kann ich Ihnen weiterhelfen.«
»Ich finde es sehr interessant«, sagte ich. »Und möchte mich gern beraten …«
Leider wurde in dem Augenblick die Tür geöffnet, und der Arzt trat ein, begleitet von zwei Schwestern.
Er erwies sich als ein resoluter Mann. Mit einer Handbewegung scheuchte er mich von der Liege und warf den Vorhang beiseite, mit dem Riemaier zugedeckt war. Riemaier lag völlig nackt da.
»Natürlich …«, sagte der Arzt. »Schon wieder …« Er hob Riemaiers Lider, zog ihm die Unterlippe herab, fühlte den Puls. »Schwester, Cordein … Und rufen Sie die Zimmerfrauen, die sollen hier mal aufräumen.« Er richtete sich auf und fragte uns: »Sind Sie Verwandte von ihm?«
»Ja«, sagte ich. Oscar schwieg.
»Haben Sie ihn bewusstlos vorgefunden?«
»Er lag da und fantasierte«, sagte Oscar.
»Haben Sie ihn hierhergetragen?«
Oscar zögerte. »Ich habe ihn nur mit dem Vorhang zugedeckt. Als ich kam, lag er so wie jetzt da. Ich wollte nicht, dass er sich erkältet.«
Der Arzt schaute ihn eine Weile an, dann sagte er: »Macht nichts. Sie können gehen. Beide. Die Krankenpflegerin bleibt bei ihm. Rufen Sie heute Abend an. Alles Gute.«
»Und was hat er, Doktor?«, fragte ich.
Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes. Überanstrengung, nervöse Erschöpfung … Außerdem raucht er zu viel, wie es scheint. Morgen wird er transportfähig sein, dann können Sie ihn nach Hause schaffen. Hierzubleiben schadet ihm. Es ist zu lustig bei uns. Auf Wiedersehen.«
Wir verließen das Zimmer.
»Kommen Sie, wir trinken etwas«, schlug ich Oscar im Korridor vor.
»Sie haben vergessen, dass ich nichts trinke«, bemerkte er.
»Schade. Diese Geschichte hat mich derart mitgenommen, dass ich etwas trinken muss. Riemaier strotzte doch immer vor Gesundheit …«
»In der letzten Zeit ging es mit ihm mächtig bergab«, meinte Oscar vorsichtig.
»Ja, ich habe ihn gestern kaum wiedererkannt.«
»Ich hatte ebenfalls Mühe …«, sagte Oscar. Er glaubte mir kein einziges Wort. Ich ihm auch nicht.
»Wo haben Sie sich einquartiert?«, erkundigte ich mich.
»Hier«, sagte Oscar. »Ein Stockwerk tiefer, Zimmer achthundertsiebzehn.«
»Schade, dass Sie nichts trinken. Wir könnten bei Ihnen sitzen und nett plaudern.«
»Ja, das wäre nicht schlecht. Leider bin ich in Eile.« Er überlegte. »Wissen Sie, geben Sie mir Ihre Adresse, ich komme morgen früh zurück und schaue dann bei Ihnen vorbei. Gegen zehn Uhr – wäre Ihnen das recht? Wenn nicht, rufen Sie mich an …«
»Wieso denn …«, sagte ich und gab ihm meine Adresse. »›Dewon‹ interessiert mich, ehrlich gesagt, sehr.«
»Wir werden uns schon treffen«, meinte Oscar. »Bis morgen.«
Er lief die Treppe hinunter; anscheinend hatte er es tatsächlich eilig. Ich fuhr mit dem Lift ins Vestibül und gab ein Telegramm an Maria auf: »Zustand meines Bruders schlecht fühle mich einsam nehme mich zusammen Iwan«. Ich fühlte mich wirklich einsam. Riemaier war erneut aus dem Spiel, zumindest für vierundzwanzig Stunden. Der einzige Wink, den er mir gegeben hatte, war sein Rat hinsichtlich der Fischer. Ich hatte aber nichts Greifbares. Da gab es Fischer, die irgendwo in der Alten Metro hausten; da war »Dewon«, das vielleicht meinen Auftrag in irgendeiner Weise berührte, aber ebenso gut nichts damit zu tun haben brauchte; da war Oscar, der sowohl mit »Dewon« als auch mit Riemaier in Beziehung stand – eine unangenehme, unheilvolle Figur, aber zweifellos nur eine von vielen unangenehmen, unheilvollen am hiesigen wolkenlosen Horizont. Dann war da noch ein gewisser Buba, der die großporige Nase mit »Dewon« versorgt hatte. Schließlich und endlich bin ich ja erst vierundzwanzig Stunden hier, dachte ich. Zeit habe ich. Mit Riemaier ist unter Umständen auch noch zu rechnen, und vielleicht gelingt es mir sogar, Pek zu finden. Plötzlich fiel mir die gestrige Nacht ein, und ich gab ein Telegramm an Siegmund auf: »Laienkonzert am Achtundzwanzigsten Einzelheiten unbekannt Iwan«. Dann winkte
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