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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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sich auf den Amphibrachus spezialisiert.«
    Chlebowwodow musterte mich argwöhnisch. »Amphibrachus, ja, das verstehe ich. Aber das ist nicht das Problem. Was ich wissen will, ist: Wofür bezieht er sein Gehalt?«
    »Ein Gehalt als solches gibt es bei ihnen nicht«, erklärte ich.
    »Ah!«, freute sich Chlebowwodow, »ein Arbeitsloser!«, blickte aber sogleich wieder misstrauisch drein. »Nein, da stimmt was nicht! Er bezieht kein Gehalt, hat aber Urlaub. Sie bringen da was durcheinander – das ist ja der reinste Eiertanz.«
    »Hrrrm«, stieß Lawr Fedotowitsch hervor. »Es gibt eine Frage an den Vortragenden sowie an den wissenschaftlichen Berater. Der Beruf des Vorgangs Nummer zweiundsiebzig.«
    »Leser von Gedichten«, erwiderte Wybegallo schnell. »Und außerdem … tjä … Amphibrachist.«
    »Gegenwärtige Arbeitsstelle«, ergänzte Lawr Fedotowitsch.
    »Er ist in Kurzurlaub, erholt sich also kurzfristig.«
    Ohne den Kopf zu wenden, blickte Lawr Fedotowitsch zu Chlebowwodow hinüber. »Gibt es noch Fragen?«, erkundigte er sich.
    Chlebowwodow rutschte beklommen auf seinem Stuhl hin und her. Man brauchte keine Brille, um zu erkennen, dass in seinem Inneren die tugendhafte Solidarität mit der Obrigkeit gegen sein nicht weniger ausgeprägtes staatsbürgerliches Pflichtgefühl ankämpfte. Den Sieg errang, wenn auch mit merklichen Abstrichen, das staatsbürgerliche Pflicht gefühl.
    »Was ich sagen wollte, Lawr Fedotowitsch, ist Folgendes«, säuselte Chlebowwodow. »Was ein Amphibrachist ist, weiß jeder. Das ist nicht das Problem. Und auch was die Gedichte angeht, stimmt alles. Da gibt’s einen Puschkin, einen Michalkow, einen Kornejtschuk … Aber ein Leser … So einen Beruf gibt’s in keinem Stellenplan! Kann’s ja auch gar nicht! Ich lese mir ein paar Verse durch und kriege dafür Gehalt und Urlaub? Das ist’s, was wir klären müssen.«
    Lawr Fedotowitsch nahm das Theaterglas und richtete die Blicke auf Wybegallo. »Hören wir uns an, was der Berater zu sagen hat«, schlug er vor.
    Wybegallo erhob sich. »Also, tjä …«, murmelte er und strich sich über den Bart. »Genosse Chlebowwodow hat die Frage mit Fug und Recht so zugespitzt und die Akzente richtig gesetzt. Das Volk liebt Gedichte – c’est la main sur le cœur que je vous le dis . Aber braucht das Volk x-beliebige Gedichte, je vous demand un peu? Wir, Genossen, wissen, dass es durchaus keine x-beliebigen Gedichte braucht. Darum müssen wir uns, tjä, streng an den vorgeschriebenen Kurs halten, dürfen die Leuchtzeichen nicht aus den Augen verlieren und, tjä, le vin est tiré il faut le boire . Meine persönliche Meinung lautet: Aide-toi et Dieu t’aidera. Aber ich würde noch empfehlen, den hier anwesenden Vertreter, Genossen Priwalow, anzuhören, sozusagen als Zeugen.«
    Lawr Fedotowitsch richtete sein Theaterglas auf mich.
    Chlebowwodow sagte: »Warum nicht? Der drängt sich sowieso immerzu in den Vordergrund, er kann’s nun mal nicht lassen, also soll er’s uns erklären, wenn er schon so neunmalklug ist.«
    »Voilà«, sagte Wybegallo bitter, »l’éducation qu’on donne aux jeunes au présent!«
    »Darum sage ich ja, er soll es uns erklären«, wiederholte Chlebowwodow.
    Ich erklärte: »Bei ihnen zu Hause gibt es sehr viele Dichter. Alle schreiben Gedichte, und jeder Dichter möchte natürlich seine Leserschaft haben. Der Leser aber ist ein unorganisiertes Geschöpf und versteht diese simple Tatsache nicht. Gute Gedichte liest er gern und lernt sie sogar auswendig, von schlechten aber will er nichts wissen. Das bringt Ungerechtigkeiten und Ungleichheit mit sich. Da die dortige Bevölkerung sehr feinfühlig ist und will, dass sich jeder wohlfühlt, wurde ein besonderer Beruf eingeführt – der des Lesers. Die einen spezialisieren sich auf den Jambus, die anderen auf den Trochäus, und Konstantin Konstantinowitsch, eine Koryphäe auf dem Gebiet des Amphibrachus, macht sich zurzeit den Alexandriner zu eigen und erwirbt damit einen zweiten Beruf. Da das eine sehr ungesunde Arbeit ist, steht den Lesern nicht nur eine bessere Verpflegung zu, sondern auch wiederholter Kurzurlaub.«
    »Das ist mir alles klar!«, rief Chlebowwodow eindringlich. »Das mit diesen Jamben und Alexandriten. Nur eins verstehe ich nicht: Wofür genau wird er bezahlt? Schön, er sitzt da und liest. Dass das ungesund ist, weiß ich! Aber das Lesen ist eine stille, innere Angelegenheit – wie will man da kontrollieren, ob der Faulpelz liest oder schläft? Als ich

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