Gesammelte Werke 6
nehmen, konnte nicht einmal strampeln, sondern bekam nur hin und wieder einen Fuß frei, mit dem ich mich, wo ich hinlangte, aus Leibeskräften kratzte.
Endlich kamen wir aus dem Gestrüpp wieder ans Seeufer. Der Weg wurde besser und führte stetig bergauf. Ein heftiger Wind blies mir ins Gesicht. Ich hielt an, um zu verschnaufen und mich zu kratzen – hingebungsvoll, ja ich konnte gar nicht mehr aufhören. Als ich schließlich doch genug hatte, sah ich, dass die Troika gerade den Kommandanten fertigmachte. Ihm wurde vorgeworfen, einen terroristischen Anschlag vorbereitet und inszeniert zu haben, ihm wurde für jeden Blutstropfen, den die Mitglieder der Troika geopfert hatten, die Rechnung präsentiert, und er beglich die Rechnung auf Heller und Pfennig. Was vom Kommandanten übrig geblieben war, als ich wieder sehen, hören und denken konnte, verdiente kaum mehr den Namen: ein Häufchen Elend, ein leerer Blick und ein schwaches Murmeln: »Bei Gott dem Allmächtigen … Herr Jesus, unser Heiland …«
»Genosse Subo«, stieß Lawr Fedotowitsch schließlich hervor. »Warum haben Sie aufgehört zu lesen? Tragen Sie weiter vor!«
Mit zitternden Händen sammelte der Kommandant die im Wagen verstreuten Papiere ein.
»Lesen Sie gleich die kurze Charakteristik des Unerklärten vor«, befahl Lawr Fedotowitsch.
Der Kommandant schluchzte ein letztes Mal und las dann mit gebrochener Stimme: »Ein großes Sumpfgebiet, aus dem von Zeit zu Zeit ein Ächzen und Stöhnen steigt.«
»Na?«, sagte Chlebowwodow. »Und was weiter?«
»Nichts weiter. Das ist alles.«
»Alles?« Chlebowwodow heulte auf. »Zugrunde gerichtet haben sie mich! Abgestochen! Und warum das Ganze? Wegen ein paar Ächzern! Wozu hat er uns hergeschleppt, dieser Terrorist? Damit wir uns die Ächzer anhören? Wofür haben wir unser Blut vergossen? Sehen Sie mich mal an – so kann ich mich nicht mehr ins Hotel wagen! Meine Autorität ist für alle Zeit untergraben! Den Kerl lasse ich schmoren, bis ihm Ächzen und Stöhnen vergeht!«
»Hrrrm«, machte Lawr Fedotowitsch, und Chlebowwodow verstummte.
»Es gibt einen Vorschlag«, fuhr Lawr Fedotowitsch fort. »Den Vorgang Nummer achtunddreißig, genannt ›Kuhschlick‹, wegen außerordentlicher Gefährlichkeit für das Volk einer verschärften Rationalisierung zu unterwerfen, genanntes unerklärtes Phänomen als irrational, transzendent und demzufolge real nicht existierend zu betrachten und als solches für immer aus dem Gedächtnis des Volkes, das heißt aus allen geografischen und topografischen Karten zu tilgen.«
Chlebowwodow und Farfurkis klatschten frenetisch in die Hände. Lawr Fedotowitsch holte seine Aktentasche unter dem Sitz hervor und legte sie flach auf seine Knie.
»Das Protokoll!«, forderte er.
Schon lag das Protokoll über die verschärfte Rationalisierung auf seiner Aktentasche.
»Die Unterschriften!«
Schon trug das Protokoll die nötigen Unterschriften.
»Den Stempel!«
Die Tür des Panzerschranks knarrte, ein Schwall Aktenmief schwappte heraus, und vor Lawr Fedotowitsch hing der Große Runde Stempel. Lawr Fedotowitsch griff mit beiden Händen danach, hielt ihn übers Protokoll und stieß ihn aus Leibeskräften hinab. Ein Schatten verdunkelte den Himmel, die Wagenfederung gab nach. Lawr Fedotowitsch verstaute die Aktentasche wieder unter dem Sitz und fuhr fort: »Dem Kommandanten der Kolonie, Genossen Subo, wird wegen unverantwortlicher Duldung eines irrationalen, transzendenten und demzufolge nicht real existierenden Kuhschlicks in der Kolonie sowie wegen ungenügender Absicherung der Arbeit der Troika ein strenger mündlicher Verweis erteilt. Gibt es weitere Vorschläge?«
Chlebowwodow, den die Aufregungen ziemlich mitgenommen hatten, schlug vor, den Kommandanten zum Tode durch Erschießen zu verurteilen und sein gesamtes Vermögen einzuziehen. Farfurkis wandte mit schwacher Stimme ein, das sei leider nicht human, und daher unterstütze er voll und ganz Lawr Fedotowitschs Vorschlag.
»Der Nächste! Was liegt heute noch an, Genosse Subo?«
»Der Verwunschene Ort.« Der Kommandant schien neue Hoffnung zu schöpfen. »Das ist nicht weit von hier, etwa fünf Kilometer.«
»Mücken?«, vergewisserte sich Lawr Fedotowitsch.
»Bei Jesus Christus, unserem Heiland …«, schwor der Kommandant. »Mücken gibt’s da nicht. Höchstens Ameisen.«
»Gut. Wespen? Bienen?«, fuhr Lawr Fedotowitsch, erstaun lichen Scharfsinn und eine nimmermüde Sorge um das Volk offenbarend,
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